IX – Spitzbergen 1981 – Die neu bestimmte Zeit

Leichter Wind, der inzwischen gedreht hat und mir direkt vom Kopfe her in den Schlafsack weht, weckt mich nach ein paar Stunden. Ich bette mich etwas anders und schlafe weiter. Wirklich wach werde ich erst, als es merklich kühler geworden ist. Die Sonne ist inzwischen um den halben Himmel herum gewandert und wird nun von der Spitze eines Berges auf diese Talseite verdeckt (Bild oben). Zwar taucht sie bald wieder auf, doch finden sich immer mehr Wolkenschleier ein. Wieder einmal hole ich den Kompass hervor; bevor die Sonne wieder endgültig hinter Wolken verschwunden ist, muss ich endlich einmal die Uhr genau stellen.

Ich peile und rechne. Ohne dies auf dem Papier festzuhalten, muss man immer wieder von neuem anfangen damit. Aber ich habe ja Zeit: Inzwischen räume ich den Platz etwas auf, ziehe mich an und hole Wasser.

Die Uhr stelle ich schließlich u.a. nach folgenden Überlegungen:

  1. Die Missweisung von 1,5° kann vernachlässigt werden.
  2. Die Tatsache, dass ich mich nicht auf Greenwich-Länge, sondern 16 Grad weiter östlich befinde, muss berücksichtigt werden.
  3. Wir haben Sommerzeit.
  4. 2,67 Marschzahlen auf dem Wander-Kompass (es gibt deren 64) entsprechen einer Stunde oder 1 Marschzahl entspricht 22,5 Minuten.
  5. Wenn die Sonne hier an meinem Lagerplatz genau im Norden steht, steht sie am tiefsten und es wäre 0 Uhr (nach Sommerzeit 1.00 Uhr) „Ortszeit“…

Schließlich komme ich zu dem Ergebnis:

Es ist jetzt Mittwoch der 8.7.1981 n.Chr. Um 2.00 Uhr!

Nachdem ich dies alles  – jetzt wieder im Zelt – ins Tagebuch notiert hatte, musste ich prompt wieder eingeschlafen sein. Nun – ist denn das die Möglichkeit? – Ist es bereits 13.15 Uhr! Ich bin nur mit Mühe aufgewacht. Ich erinnere mich nur, dass es, während ich schlief, einmal recht heftig geregnet haben muss, richtig wach bin ich dadurch nicht geworden. In den letzten 24 Stunden habe ich also fast 20 Stunden geschlafen (13 Uhr bis 22.30 Uhr und ca. 3.00 Uhr bis 13.15 Uhr)! Ich könnte auch jetzt noch weiter schlummern.

Aber ich muss langsam an den Heimweg zum Flughafen denken und packen. Zunächst hänge ich einmal einige Klamotten zum Lüften in den starken Wind, denn die echte Zivilisation wird mich auch nach der Rückkehr von Spitzbergen noch nicht so schnell wieder haben. – Und dennoch will ich mich in ca. 2 Wochen ja auch noch auf einer Hochzeit in Helsinki sehen lassen…

Einen schön gemaserten Stein, der Ringe enthält, die mich an die Jahresringe eines Baumes erinnern, werde ich nicht mitnehmen können; ich fotografiere ihn…

… und zeige ihn Ihnen in einer Woche in der nächsten Folge (am Freitag, 23.7.2012, ab 15:30 Uhr).

 

Inhalt aller Folgen:

  1. Anreise
  2. Erstes Lager und Flussüberquerung
  3. Ich richte mich ein
  4. Kalter Regentag: Körperpflege…
  5. Hüttensuche & Die Zeit geht verloren
  6. Zeit & Steine. Beginn eines längeren Ausflugs
  7. Rentiere besichtigen mich
  8. Essen, Spielen, zurück zum Lager
  9. Die neu bestimmte Zeit
  10. Eine Reflexion am Ende der Fahrt
  11. Rückweg durch die Läufe des Adventelva
  12. Übergang zurück in die Zivilisation – Spitzbergen heute