IV – Spitzbergen 1981 – Kalter Regentag: Körperpflege…

Mein Badezimmer

Sonntag, 5.7.1981, 16.15

Es regnet. Hatte mir für heute eigentlich eine längere Tour zum Helvetiadalen vorgenommen. Will mich aber nicht auch noch dem Regen aussetzen.

Es ist ein Wetter, wie es bei uns im November, Dezember vorkommt: Temperatur sicherlich unter 5°C, Regen und Wind – so ein Wetter, wo man keinen Hund vor die Türe schickt. Hier kommt einem das gar nicht so schlimm vor. Denn immerhin ist ja der Wind schon etwas schwächer geworden. Aber es ist trübe und in etwas höheren Lagen schneit es bestimmt. Das Helvetiadalen liegt etwas höher…

Der Norweger hat mir angeboten bei Schneesturm in seiner Hütte im Camp unterzukriechen. Eine Hütte wäre auch nicht zu verachten…

– Aber erst einmal will ich berichten, was ich seit 11 Uhr so getrieben habe.

Nach dem oben beschriebenen Frühstück stand zunächst einmal die Körperpflege an. (- Wie lange habe ich mich nicht mehr gewaschen??) Die Finger werden mit einem Erfrischungstuch der SAS gereinigt, sodann die Kontaktlinsen und der Behälter. Es ist eine ganze Menge Sand hineingekommen gestern auf dem stürmischen Berghang.

Dann suche ich wegen des toten Rentiers in meinem Bach ein neues Badezimmer und gehe dazu etwa einen Kilometer am Fuß der Berge über den Schotter das Adventdalen hinauf.

Zwei bis drei Meter vor mir… – bewegt sich da etwas?! Ja, ein Vogel. Ist das einer der mir noch etwas mysteriösen „Cormorants“? Graubraun gefiedert, einem kleinen Huhn vielleicht etwas ähnlich, läuft der Vogel, es ist wohl eine Eiderente, im Moos vor mir her. Gut getarnt, aber Angst scheint sie nicht sonderlich zu haben. Denn nun erscheint mit „trrr, trr“ ein zweiter Vogel und landet in sicherer Entfernung. Das schwarz-weiße, etwas prächtigere Gefieder lässt mich vermuten, dass es das Männchen ist. Werde die beiden Vögel registrieren. – Im Nachhinein werde ich das Gefühl nicht los, dass die Leute aus dem Rentiercamp alle Vögel „Kormorane“ nennen…

Ich gelange an einen kleinen Schmelzwasserbach, wo ich mir erst einmal – mit Handschuhen! – die Zähne putze. Die Zahnpasta ist ganz steif. Nun wird Geschirr gespült. Der überall vorhandene Sand ersetzt das Spülmittel. Auch bei dieser Arbeit bleibt zumindest eine Hand im Handschuh. Und dann muss es sein: die eigene Körperwäsche. – Doch da genügen 30 Sekunden für das Gesicht. Die Fingerkuppen, die wegen der Kontaktlinsen wirklich sauber sein müssen, werden mit Seife und einem extra dafür mitgenommenem Zahnbürstenkopf, der die Nagelbürste ersetzen muss, sorgfältig gereinigt.

Während der ganzen Körperpflegeprozedur hängt im Bach eine Unterhose: Ich will die Reinigungswirkung des sandigen Schmelzwassers, das mit nicht geringer Strömung dahinfließt, erproben. Der Erfolg ist wenig überzeugend vor allem deshalb, weil ich mir kaum vorstellen kann, wie ich all den irgendwie kohlehaltigen Sand wieder heraus bekommen soll. Ins eisige Wasser stecke ich meine durchgefrorenen Hände heute jedenfalls nicht mehr…

Doch Flasche und Topf werden noch aufgefüllt. Wie wenn ich einen Topf mit heißem Wasser trage, und dabei einen Topflappen benutze, benutze ich nun trotz der Handschuhe noch das Handtuch zur Isolation vor der eisigen Kälte. Auf dem Rückweg versuche ich mich anhand der Lage der Bäche zu orientieren, um meinen Lagerplatz genau in die Karte einzeichnen zu können…

Zuhause angekommen sind bald zwei Stunden seit meinem Aufbruch vergangen; man ist langsamer hier und schwerfälliger als daheim bei gemäßigteren Temperaturen und – jeder Handgriff will doch überlegt sein. Es herrscht eine Notwendigkeit ‚eigenes‘ zu bewahren, vor allem sparsam zu sein mit Energie, d.h. mit Körperwärme, Willenskraft, Lebensmitteln und Gas. Nur Zeit scheint genügend vorhanden zu sein: ein einziger unendlicher Tag… (Weil jede Struktur durch Helligkeit und Dunkelheit fehlt, bin ich ständig gezwungen die Uhrzeit zu notieren.)

Zum Essen gab es dann soeben so eine Art Kartoffelbrei: Milchpulver und Kartoffelbreipulver ins schnell erhitzte Wasser: umrühren, fertig. Zum Schluss dazu noch etwas gebratener Speck. – Es fehlt wirklich eine warme Hütte, wo man einmal aufrecht sitzend etwas essen kann.

Hmm, das ist eine Idee: In der Karte sind ein paar Hütten eingezeichnet. – Vielleicht finde ich da etwas Brauchbares. Dann kann ich endlich einmal sitzend mein Essen zu mir nehmen. Bis jetzt ging das nur meistens liegend im Zelt (bei Regen) oder wie soeben zusammengekauert zwischen ein paar Steinen. Dabei wird der Topf so gut es geht warm gehalten, denn in fünf Minuten ist alles kalt. –

Soeben noch drei Tassen Kaffee getrunken. Die Kopfschmerzen sind verschwunden – wahrscheinlich war es tatsächlich Flüssigkeitsmangel… – Der Kaffee ist noch das einzige, was irgendwie gut schmeckt – von den warmen Speisen.

21.00 (immer noch 5.7.): Der Regen hat nachgelassen; ich mache mich nun auf zur Hütte. Sie liegt ca. 3 km östlich von hier „Innerhytta“ steht auf der Karte. Die Döserei im Schlafsack bin ich leid…

 

Vom Besuch der Hütte erfahren Sie mehr in einer Woche, ab Freitag, dem 18.2. 2021, 15:30 Uhr…

 

Inhalt aller Folgen:

  1. Anreise
  2. Erstes Lager und Flussüberquerung
  3. Ich richte mich ein
  4. Kalter Regentag: Körperpflege…
  5. Hüttensuche & Die Zeit geht verloren
  6. Zeit & Steine. Beginn eines längeren Ausflugs
  7. Rentiere besichtigen mich
  8. Essen, Spielen, zurück zum Lager
  9. Die neu bestimmte Zeit
  10. Eine Reflexion am Ende der Fahrt
  11. Rückweg durch die Läufe des Adventelva
  12. Übergang zurück in die Zivilisation – Spitzbergen heute