VII – Spitzbergen 1981 – Rentiere besichtigen mich

Spitzbergen-Ren -- Bild: Wolfgang Siebert (C)

Den Beginn dieses Ausflugs habe ich in der letzten Folge geschildert.

Ich wende mich nun wieder dem Adventdalen zu; beim Heraustreten aus dem Seitental sehe ich in der Ferne eine kleine Rentierherde.

Ich zähle acht Tiere, davon zwei Kälber. Das ist wichtig; der Norweger hat mich gebeten besonders über die Rentiere Mitteilung zu machen im Lager. Wann und wie mögen diese Tiere nach Spitzbergen gelangt sein? Dass sie „schon immer“ hier leben vermag ich nicht zu glauben. Schade, dass ich nicht gefragt habe…

Anmerkung:

Bei Wikipedia finde ich 40 Jahre später: „Das Spitzbergen-Rentier unterscheidet sich von seinen Verwandten in Anatomie und Verhalten. Kurze, starke Beine und ein relativ kleiner, gedrungener Körper sowie einen gedrungenen Kopf machen seinen Körperbau aus. Im Herbst hat es sich eine sehr dicke Fettschicht angefressen, um den extrem langen Winter von bis zu neun Monaten überdauern zu können.

Insgesamt sind diese Tiere kleiner und leichter als ihre Verwandten auf den Kontinenten. (…)

Durch lange Fjorde, hohe Bergketten und weitreichende Gletscher ist das Spitzbergen-Rentier stark in seiner Bewegung eingegrenzt. Sommer- und Winterwanderungen beschränken sich auf wenige Täler, in denen sie meistens auch geboren wurden. Auch auf Spitzbergen gibt es Populationen, die durch die Topographie nicht mehr miteinander im Austausch stehen.

Durch die hocharktische Verbreitung stehen dem Spitzbergen-Rentier auch nicht genügend Futterpflanzen zur Verfügung. Ihre Nahrung setzt sich daher nicht mehr vorrangig aus Flechten zusammen, sondern Moose und höhere Pflanzen machen ihre Nahrung aus. Wenn im Winter der Boden durch Regen von einer Eisschicht bedeckt ist und die Tiere auch durch kräftiges Scharren mit ihren Vorderhufen nicht mehr an pflanzliche Nahrung gelangen, kann die Population während eines Winters um bis zu 80% reduziert werden. Tiere, die an der Küste leben, helfen sich manchmal mit angespültem Tang über diese Zeiten hinweg.“

Ganz langsam gehe ich auf die Tiere zu. Als eine Reflexion auf den gegenüber liegenden Bergen mir einen Hinweis über den augenblicklichen Sonnenstand zu geben verspricht, erhoffe ich mir Informationen über die Uhrzeit und lasse mich auf einem Stein nieder, um mit dem Kompass die Himmelsrichtung genau bestimmen zu können. Aber vergebens – die Sonne wird nicht sichtbar.

Dafür haben sich aber die Rentiere mir ein ganzes Stück genähert. Bestimmt hat sie meine rote weithin leuchtende Wollmütze angelockt. Hier ziehen Lebewesen einander an, anstatt sich zu fliehen: auch die Tiere sind neugierig. Zwei ältere haben sich inzwischen aus der Herde gelöst und sind auf wenige Meter herangekommen um mich zu besichtigen. Mit dem 135er Teleobjektiv gelingt mir ein Porträt (s.o.). Beim Klicken der Kamera springen die Tiere jedoch stets scheu ein paar Schritte zurück, um sich dann aber doch wieder vorsichtig zu nähern…

Ein paar hundert Meter weiter vorne öffnet sich das Helvetiadalen ins Adventdalen. Das erinnert mich an den noch vor mir liegenden Weg: ich habe mich bisher lange aufgehalten unterwegs und verspüre schon eine leichte Müdigkeit.

Dennoch, der Gedanke, wenn nicht schon bis ans Meer oder ins Sassendalen, so dann doch das Helvetiadalen bis zur Passhöhe (ca 250m) hinauf, von wo aus ein anderes Tal (De Geerdalen) bis zum Eisfjord führt, zu laufen, reizt mich sehr.

Das Helvetiadalen ist flach und steigt nur ganz sanft an. Auf meiner Seite des Flusses befindet sich das Helvetiagebirge, dessen steile Hänge meist abgetaut sind. Auf der anderen Seite ist es flacher.

 

Dort liegt mehr Schnee. Die vorherrschenden Farben sind hier im Helvetiadalen jedoch etwas mehr grün- gelb- braun, erdiger, als im Adventdalen.

Ich schreite kräftig aus. – Doch bald könnte man mal Rast machen und etwas essen…

Da, ich sehe es schon von weitem, geht es nicht mehr weiter – es sei denn, ich ginge wieder einmal durch den Fluss. Der nämlich reicht auf meiner Seite dicht bis an eine steile Felswand heran. Ich unternehme ein paar Erkundigungen; schnell steht fest, dass das Wasser mir zumindest bis über die Knie reichen würde. Für eine ungewisse Kraxeltour über die Felsen hinweg oder nochmals nasse Beine fehlt mir bei dem eiskalten Wasser die Energie.

So unternehme ich lieber noch ein paar fotogene Scheinversuche, das Wasser zu überqueren (das ist mit Selbstauslöser auch etwas schweißtreibend) und freue mich ansonsten auf die Rast…

– Die kulinarischen Dimensionen meiner Verpflegung und die Wanderung zurück zum Lager beschreibe ich dann in einer Woche, am Freitag, dem 9.7.2021, ab 15:30 Uhr –

 

Inhalt aller Folgen:

  1. Anreise
  2. Erstes Lager und Flussüberquerung
  3. Ich richte mich ein
  4. Kalter Regentag: Körperpflege…
  5. Hüttensuche & Die Zeit geht verloren
  6. Zeit & Steine. Beginn eines längeren Ausflugs
  7. Rentiere besichtigen mich
  8. Essen, Spielen, zurück zum Lager
  9. Die neu bestimmte Zeit
  10. Eine Reflexion am Ende der Fahrt
  11. Rückweg durch die Läufe des Adventelva
  12. Übergang zurück in die Zivilisation – Spitzbergen heute