III – Spitzbergen 1981 – Ich richte mich ein

Sonntag, 5.7.1981, 0:2o Uhr

Bin soeben von einer kleinen Erkundungstour zurück gekommen, habe etwas gegessen, liege nun im Schlafsack und will noch schnell ein paar Zeilen schreiben:

Die Haupttätigkeit der letzten Stunden: Befestigung des Lagers. Habe über dem Zelt ein ‚Sturmdach‘ angebracht.

Zwischendurch ist ein Norweger aus dem Rentiercamp aufgetaucht. Habe ihn schon von weitem gesehen. Komisches Gefühl: Wenn zuhause im voll besetzten Stadtbus sich die eigene Privatsphäre bei Gedränge auf wenige Quadratzentimeter zusammendrängen lässt, ohne dass es unerträglich wird, so ist diese Sphäre hier mindestens einen Quadratkilometer groß: Wer da über dem Horizont auftaucht; ist ein ‚Eindringling‘; – andererseits natürlich auch ein willkommener Gast. Ich biete ihm Kaffee an. Er ist auch mit Schuhen und allen Klamotten durchs Wasser. Er bittet mich auf der Karte einzuzeichnen, was ich an Rentieren und „Cormorants“ sehe. Es weht ein eiskalter Wind. Der Norweger meint heute hätten wir eine Temperatur von +2°C.

Der Kälte und des Windes wegen baue ich für den Campinggas – Kocher einen Ofen. Rings herum Steine, die mit Erde und Moos abgedichtet werden. Eine verbleibende Öffnung kann mit einem geeigneten Stein leicht verschlossen werden. Hier stelle ich den Kocher hinein; das Wasser wird relativ schnell heiß; die Wärme hält sich und die Flamme brennt ruhig. Ins heiße Wasser kommen Mehl, Milchpulver, Rosinen und Traubenzucker… – Hauptsache heiß. Schmeckt aber auch nicht schlecht. Stiefel und Strümpfe sind übrigens inzwischen erstaunlich trocken geworden. Ich mache mich auf, die nähere Umgebung etwas zu erkunden und steige den Hang über meinem Lagerplatz etwas hinauf. Der Norweger hat Versteinerungen gefunden; das lässt mich suchen. Ich glaube es gibt da für den Kenner interessante Dinge zu entdecken; leider bin ich kein Kenner…

Je weiter ich den Berg hinaufsteige, der nur aus festgetretenem Schotter zu bestehen scheint*, desto stärker wird der Wind, der viel Staub mit sich trägt. Längst schon habe ich die Kontaktlinsen aus- und die schützende Brille aufgezogen (auf dem Bauche liegend). Kurz vor dem Gipfel – so scheint es wenigstens – komme ich nicht mehr weiter. Der Sturm ist eiskalt. Ich drehe um. Unter mir liegt der in unzählige Läufe zergliederte Adventelva. Wo mag er am flachsten und am leichtesten passierbar sein?

Beim Weg hinunter nähere ich mich einem der senkrecht in den Hang tief eingeschnittenen Abgründe, auf dessen Boden das Schmelzwasser zu Tal fließt. Da hier weniger Sonne hinkommt, liegt an den Rändern noch soviel Schnee, wie irgend hält: Schnee am diesseitigen und am gegenüberliegenden Rand. Es sieht aus, wie eine geschlossene Schneefläche, vom Abgrund ist nichts zu sehen: eine tückische Falle, zumal der Schnee gewiss nicht fest liegt…

Schon viel weiter unten entdecke ich ein totes Rentier im Wasserlauf. – Ich werde mein Trinkwasser künftig aus einem anderen Bach holen! Zwar lebe ich noch, aber sicher ist sicher. Völlig durchgefroren komme ich am Zelt an.

Schnell mache ich Wasser heiß und werfe einen Brühwürfel hinein. Schnell getrunken, so lange das Ganze noch heiß ist. Es gibt Brot, Schokolade, Speck und einen Schluck Schnaps (ein paar Zentiliter Luxus, der mal nach etwas Anderem schmeckt). Bin müde. Es ist 0.35 Uhr….

Jetzt ist es 11.10 Uhr, immer noch Sonntag, 5.7.1981.

Bin mit leichten Kopfschmerzen aufgewacht. – Flüssigkeitsmangel?

– Esse den Rest der Gurke, den ich im Schlafsack aufbewahrt habe, damit er warm wird. Dann werde ich aufstehen.

_____________________________

*) Teilweise werden diese steilen Hänge nur durch den Frost im Boden gehalten. In den letzten Jahren unseres Jahrhunderts taut der Boden und es sind etliche Häuser in Longyearbyen durch Schlamm- & Gerölllawinen beschädigt und gefährdet (siehe auch letzte Folge).

 

Weiter geht es am 11.6. ab 15:30 Uhr.

 

Inhalt aller Folgen:

  1. Anreise
  2. Erstes Lager und Flussüberquerung
  3. Ich richte mich ein
  4. Kalter Regentag: Körperpflege…
  5. Hüttensuche & Die Zeit geht verloren
  6. Zeit & Steine. Beginn eines längeren Ausflugs
  7. Rentiere besichtigen mich
  8. Essen, Spielen, zurück zum Lager
  9. Die neu bestimmte Zeit
  10. Eine Reflexion am Ende der Fahrt
  11. Rückweg durch die Läufe des Adventelva
  12. Übergang zurück in die Zivilisation – Spitzbergen heute