10. Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption. – Und Schluss.

Die Eule war der griechischen Göttin Athene, der Göttin der Weisheit und der Stadtgöttin Athens, heilig.

So, nun sind wir ein gutes Stück in Kants Philosophie eingedrungen und ich will unseren Stand noch einmal zusammenfassen, indem ich noch einmal erzähle, wie wir Wahrnehmung gedachter Objekte bisher kennen gelernt haben:

Anfangs ist das, was uns als Gehörtes, Gesehenes oder Gerochenes gegeben ist, noch nichts dergleichen, es ist formloses unzusammenhängendes ‚Mannigfaltiges‘, etwas völlig Unbestimmtes. Aber dann hat es ein WIE, das geprägt ist von unserem Anschauungsvermögen: Alles was wir irgendwie wahrnehmen, ist räumlich und zeitlich. Raum und Zeit bilden gewissermaßen ‚unsere innere Wahrnehmungswelt‘, in der sich alles abspielt, was wir wahrnehmen, ja auch denken und empfinden…

Dieses in der Form von Raum und Zeit gegebene Mannigfaltige, muss nun noch ’sinnvoll‘ verbunden, gedacht, werden. Auch dies geschieht auf eine ganz bestimmt Art und Weise, nämlich auf die Weise, wie unser ‚Betriebssystem‘, unser Denken arbeitet: auf die Weise der 12 Kategorien, welche nach Kant sind:

  • solche der Quantität (Einheit – Vielheit – Allheit),
  • der Qualität (Realität – Negation – Limitation),
  • der Relation {Inhärenz und Subsistenz (Substanz und Accidens) – Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung) – Gemeinschaft (Wechselwirkung)}
  • und der Modalität (Möglichkeit – Unmöglichkeit, Dasein – Nichtsein, Notwendigkeit – Zufälligkeit)

Über die Bedeutung der einzelnen Kategorien kann man streiten, die Aufzählung ist auch historisch bedingt…

Für uns bleibt festzuhalten: Kausalität ist für Kant nicht wie für Hume etwas, das uns die Erfahrung, die Gewohnheit, lehrt, sondern sie ist ein Instrument, ein WIE unseres Denkens.

Beiden gemeinsam ist aber, dass die notwendige Verbindung zwischen Ursache und Wirkung nicht in den Dingen außerhalb von uns liegt, sondern in unserem Denken, sei es Gewohnheit wie bei Hume oder sei es (bei Kant) die Art und Weise wie wir gegebenes Mannigfaltiges miteinander verbinden….

Mit dem ‚Verbinden‘ sind wir bei unserer letzten Station angekommen, die uns in gewisser Weise wieder den Bogen zu Descartes schlagen lässt. Wahrnehmendes Erkennen („Apperzeption“) ist für Kant ein Akt der Synthese: AuseinanderBefindliches Mannigfaltiges wird auf die Weise der Kategorien miteinander in Beziehung gesetzt, verbunden. Dieser Akt kann stets von einem „Ich denke“ begleitet werden.

Apperzeption (Erkennen) ist also ein wesentlich ursprünglicher Akt der „Synthesis“, der Synthese, des Zusammenfügens, der sich seiner selbst bewusst sein kann. Dieser Akt der Wahrnehmung bringt also gewissermaßen gleichzeitig das Subjekt hervor (und schafft das Objekt). Kant nennt dies die „ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption“ (vgl. B131ff: §16 und §17).

Hier wird deutlich, dass Kant eine ganz andere , deutlich sparsamere, Vorstellung vom Ich hat, als z.B. Freud, für den das Ich ein dreifach gesteuerter Topf voll von Lebenseinflüssen ist…

Was das Mannigfaltige ausmacht, anders: was die Dinge ‚an sich‘ – d.h. ohne dass sie erkannt werden – sind, können wir, so Kant, nicht wissen. Auf keinen Fall heiße das aber, dass sie gar nichts sind!

 

Ich denke an dieser Stelle ist es genug.

Bleibt nur noch die Frage, was wir damit anfangen. Dazu hier nur zwei Thesen:

1. ‚Alltag‘:

Realität ist nicht beliebig, aber sie ist nicht nur durch unseren sozialen Hintergrund (im weitesten Sinne verstanden), sondern auch ganz prinzipiell durch die Art und Weise unseres Wahrnehmens bestimmt: grundsätzlich ist sie zunächst räumlich und zeitlich und dann wird sie dadurch bestimmt WIE wir ’synthetisieren‘, das ist z.B.: Wir denken in Zusammenhängen von Ursache und Wirkung…

2. Naturwissenschaft:

Naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht im platten Sinne ‚objektiv‘. Die Welt, die wir ‚entdecken‘, ist wesentlich auch eine, die wir überhaupt denken können, sie ist immer gleichzeitig eine, die wir mit unseren Modellvorstellungen erschaffen.

Ich behaupte, sie ist stärker durch Grundprinzipien unseres Denkens (vgl. „Kategorien“) geprägt als den meisten Naturwissenschaftlern bewusst sein wird (vgl dazu die Randbemerkung am Ende von Kapitel 9).

 

Bevor wir zum Inhaltsverzeichnis kommen noch ein Hinweis auf eine weitere 12-teilige Folge, die ab dem kommenden Freitag, 21.5.21, wöchentlich immer ab 15:30 Uhr veröffentlich wird: Es ist mein Tagebuch eines Aufenthaltes allein auf Spitzbergen im Jahre 1981, also vor 40 Jahren.

Anflug auf Spitzbergen, Flughafen Langyearbyen, am 3.7.1981 nachts um ca. 2:25 Uhr. – Bild: Wolfgang Siebert

 

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Überblick über alle 10 Folgen:

  1. Was kann ich wissen?
  2. Woran man zweifeln kann
  3. Ich denke also bin ich
  4. Das Subjekt ist sich seiner selbst bewusst, das Objekt ist ungewiss
  5. Können wir das Denken erklären? – Ein kurzer Blick auf Leibniz, ein Ausblick auf Kant
  6. Wo ist Zeit? – Was ist Zeit? – Grundgedanken aus Einsteins Relativitätstheorie
  7. Kant: Raum und Zeit als ‚Formen der Anschauung‘
  8. „Das Ding an sich ist nicht erkennbar.“
  9. Kausalität – und: Randbemerkung für Interessierte (zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft)
  10. Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption. – Und Schluss.