6. Wo ist Zeit? – Was ist Zeit? – Grundgedanken aus Einsteins Relativitätstheorie

Fragen wir doch zunächst einmal: Wo ist die Zeit?

– In der Uhr? – Wohl kaum, denn wenn wir z.B. eine mechanische Uhr auseinander nehmen, finden wir nichts als eine Feder und viele Zahnrädchen. – Warum können wir mit so einem Mechanismus die Zeit messen? … – …. – Offensichtlich ermöglichen uns diese nach einem bestimmten Prinzip konstruierten Maschinchen unter uns Menschen einen gewissen Gleichtakt herzustellen, der relativ genaue Vereinbarungen über Zusammenkünfte, Fahrpläne, Unterrichtsstunden usw. erlaubt. – Aber ist das schon die Zeit? – Immerhin kann uns das Tragen einer Uhr und der andauernde Blick aufs Ziffernblatt in eine gewisse Hektik versetzen. Je genauer die Zeitangaben und je dichter der Terminkalender, desto ’schneller‘ scheint uns ‚die Zeit‘ zwischen den Händen zu zerrinnen.

Das führt uns zu der Frage: Ist die Zeit etwas Objektives, ist die Zeit überhaupt ein ‚Objekt‘, ein Gegen-Stand also, der uns unabhängig von uns gegenüber steht und von uns als solcher überhaupt erkannt werden könnte?

Hier fällt uns vielleicht der alte Physiker Albert Einstein ein: Für ihn und die Physiker nach ihm gibt es in dieser Hinsicht nur eine Konstante und das sind weder Zeit noch Raum, das ist die Lichtgeschwindigkeit. Was das heißt? Machen wir ein paar Gedankenspiele:

(1) Wenn ein Bummelzug mit 70 km/h durch die Landschaft fährt und in ihm in Fahrtrichtung der Schaffner flott mit 5 km/h den Gang entlang läuft, so bewegt sich der Schaffner für einen außerhalb des Zuges stehenden Beobachter am Bahndamm mit 75 km/h durch die Landschaft.

Umgekehrt sieht der Schaffner den Menschen am Bahndamm mit 75 km/h vorüberziehen. Kommt ein Personenzug mit 120 km/h entgegen, so addieren sich für den Schaffner die Geschwindigkeiten: Der Lokführer des anderen Zuges rast mit 195 km/h an ihm vorbei.

(2) Für das Licht gelten diese einfachen Additionen nicht. Betrachten wir dazu ein Beispiel:

Wenn ein Flugzeug mit ungefähr dreifacher Schallgeschwindigkeit 3600 km pro Stunde zurück legt, hat es eine Geschwindigkeit von 1 km/s. Das Licht legt in der Sekunde (etwa) 300.000 km zurück. Die Lichtgeschwindigkeit beträgt also 300.000 km/s. Schaltet der Pilot nun den Frontscheinwerfer seines Überschallflugzeuges ein, so beträgt die Geschwindigkeit des Lichtes nicht etwa 300.001 km/s, sondern weiterhin nur 300.000 km/s – egal wie schnell das Flugzeug fliegt und in welche Richtung das Licht abgestrahlt wird. Die Geschwindigkeit, mit der sich Licht fortbewegt, ist unter allen Umständen konstant. Dies ist eine mittlerweile vielfach untersuchte Tatsache.

Unser Verstand, der durch Alltagserfahrungen mit relativ niedrigen Geschwindigkeiten geprägt ist, protestiert. – Für den Nachdenker Einstein war die Lösung dieser paradoxen Sachverhalte ‚ganz einfach‘: Wenn keine höheren Geschwindigkeiten erlaubt sind, müssen sich eben die anderen beteiligten Größen ‚beugen‘: Länge (Raum) und Zeit: Wenn z.B. das Licht einer nach vorn leuchtenden Taschenlampe sich im schnell bewegten Zug auch für den außen stehenden Beobachter nicht schneller bewegen darf: Vielleicht wird für den Mann am Bahndamm dafür der Zug etwas kürzer? Dann wäre zumindest gewährleistet, dass das Licht für den außen stehenden Beobachter und den Fahrgast gleichzeitig die vordere Wand des fahrenden Wagens erreicht…

Dabei ‚beobachtet‘ der Mann am Bahndamm auch, wie die Zeit im Zug langsamer verläuft. Denn der bewegte kürzere Zug wird ja genauso schnell vom Licht durchlaufen wie für den Fahrgast der ruhende längere…

– Wie man sich das alles vorstellen muss, kann ich hier mit Worten nicht anschaulich genug schildern. Aber das ZDF hat zum ‚Einstein-Jahr‘ 2005 einen Film ins Internet gestellt, der diese Zusammenhänge in unübertroffen einfacher Weise anschaulich und auch gründlich darstellt. Nehmen Sie sich etwas Zeit dazu. Am Ende des Kapitels finden Sie den Link.

Wir fassen hier zunächst zusammen: Nach Einstein sind Zeit und Raum, nichts Absolutes, sondern sie sind ‚relativ‘, sie hängen insbesondere für den Physiker vom Beobachter, vom Subjekt ab.

Damit ist die oben gestellte Frage zunächst in einer Richtung beantwortet: Die Zeit ist nichts Objektives. Kein Gegenstand also, den wir als Objekt beobachten könnten, der vielleicht unterschiedlichen Menschen nur unterschiedlich erscheint, abhängig davon, wie viel der Mensch zu tun hat.

Über den subjektiven Charakter von Raum und Zeit werden wir uns in einer Woche unterhalten, nämlich am 23.4.2021 ab 15:00 Uhr.

Nun aber wünsche ich Ihnen zunächst viel Spaß mit dem Einstein-Film!

Beim ZDF ist der Film nicht mehr vorhanden, ersatzweise aber bei YouTube:

Sicherlich finden sich auch noch weitere Quellen…

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Überblick über alle 10 Folgen:

  1. Was kann ich wissen?
  2. Woran man zweifeln kann
  3. Ich denke also bin ich
  4. Das Subjekt ist sich seiner selbst bewusst, das Objekt ist ungewiss
  5. Können wir das Denken erklären? – Ein kurzer Blick auf Leibniz, ein Ausblick auf Kant
  6. Wo ist Zeit? – Was ist Zeit? – Grundgedanken aus Einsteins Relativitätstheorie
  7. Kant: Raum und Zeit als ‚Formen der Anschauung‘
  8. „Das Ding an sich ist nicht erkennbar.“
  9. Kausalität – und: Randbemerkung für Interessierte (zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft)
  10. Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption. – Und Schluss.