9. Kausalität

Tübinger Studenten beim Billardspiel im frühen 19. Jhd. -- Die Beziehung der 'stoßenden Kugel zur gestoßenen' erinnert an den Philosophen David Hume... (s.u.)

Im seinen „Prolegomena…“ (1783) verrät Kant, David Hume (1711 – 1776) habe ihn mit seinen Abhandlungen über Kausalität aus einem „dogmatischen Schlummer“ erweckt. Dem wollen wir hier kurz nachgehen.

In seiner „Untersuchung über den menschlichen Verstand“ (englisch 1748, deutsch 1755) führt David Hume aus, dass die Notwendigkeit, die wir mit der Kausalität bei Vorgängen in der Natur denken, nur auf Gewohnheit beruhe. Eine logisch zwingende Notwendigkeit, wie wir diese von unseren Vorstellungen her kennen (z.B. „Zwei Seiten eines Dreiecks sind zusammen länger als die dritte.“), sei zwischen „Tatsachen-Beziehungen“ nicht gegeben. Das Gegenteil einer Tatsache lässt sich immer als möglich denken. Hier einige Zitate daraus:

„Wollen wir also eine befriedigende Aufklärung über die Natur jener Evidenz erhalten, die uns der Tatsachen versichert, so müssen wir untersuchen, wie wir zur Kenntnis von Ursache und Wirkung gelangen. …

Ich wage es als einen allgemeinen und ausnahmelosen Satz hinzustellen, dass die Kenntnis dieser Beziehung in keinem Fall durch Denkakte a priori [= vor aller Erfahrung] gewonnen wird; sondern dass sie ganz und gar aus der Erfahrung stammt, indem wir finden, dass gewisse Gegenstände beständig in Zusammenhang stehen. Es werde einem Manne von noch so starker natürlicher Vernunft und Begabung ein Gegenstand vorgelegt – ist dieser ihm gänzlich fremd, so wird er selbst bei der genauesten Prüfung der sinnlichen Eigenschaften desselben nicht imstande sein, irgendwelche von seinen Ursachen oder Wirkungen zu entdecken. Gesetzt den Fall, Adam hätte anfänglich durchaus vollkommene Vernunftkräfte besessen, so hätte er doch aus der Flüssigkeit und Durchsichtigkeit des Wassers nicht herleiten können, dass es ihn ersticken“ könnte.

„Um uns aber zu überzeugen, dass alle Naturgesetze und alle Vorgänge an Körpern ausnahmslos nur durch Erfahrung gekannt werden, mögen vielleicht folgende Überlegungen genügen. Wird uns ein beliebiger Gegenstand vorgelegt, und wir sollen die von ihm ausgehende Wirkung angeben, ohne frühere Beobachtungen zu Rate zu ziehen – auf welche Weise in aller Welt, soll der Geist dabei zu Werke gehen?“

„Die Wirkung ist von der Ursache ganz und gar verschieden und kann folglich niemals in dieser entdeckt werden. Die Bewegung der zweiten Billardkugel ist ein völlig verschiedenes Ereignis von der Bewegung der ersten; auch ist in der einen nichts enthalten, das die leiseste Andeutung der anderen lieferte.“

Kant war diese Antwort zu einfach. Zwar gab er Hume schließlich darin recht, dass sich Tatsachen nicht durch reines Denken erschließen lassen, aber dass der Zusammenhang von Ursache und Wirkung bloß aus der Erfahrung stammen sollte, hielt er ebenso für falsch. Sein Interesse, die Funktionsweise des Denkens zu ergründen ging tiefer, hatte aber einen neuen Impuls erhalten….

Immanuel Kamt geht es in der Kritik der reinen Vernunft (KdrV) um Grundlegenderes als David Hume, nämlich um die Frage, wie ganz ursprüngliche (erste) Wahrnehmung, die bewusst wird, überhaupt möglich ist, (also z.B. ein fallendes Blatt….).

Dabei kommt er – nach langen und sorgfältigen Überlegungen und Begründungen langsam, z.B. auf S. 189 der ersten Auflage (A) und S. 234 der zweiten (B) der KdrV zu dem Schluss: Es „ist nur dadurch, daß wir die Folge der Erscheinungen, mithin aller Veränderung, dem Gesetze der Kausalität unterwerfen, selbst Erfahrung, d.i. [das ist] empirische Erkenntnis von denselben möglich; mithin sind sie selbst, als Gegenstände der Erfahrung, nur nach eben dem Gesetze“ (der Kausalität) möglich.

Kommt Ihnen diese Argumentation bekannt vor?

Ja richtig! Wir sind ihr bereits im Zusammenhang mit Raum und Zeit begegnet:

Alles was irgendwie (gegenständlich) ist, ist räumlich und zeitlich, Raum und Zeit können wir uns nicht wegdenken, Gegenstände schon… Raum und Zeit sind die Formen, die Art und Weise unserer (inneren) Anschauung.

Das Mannigfaltige, z.B. ein herabschwebendes Blatt, wird unserer Wahrnehmung gegeben. Nun muss es noch ‚gedacht‘ werden. Die einzelnen Zustände in der Zeit müssen verbunden werden, das Blatt in seiner Ausdehnung und Bewegung muss seine Einheit behalten, es muss als immer das selbe gewusst sein und all das wird wissend und fragend von einem ‚Darum‘ und ‚Warum‘ begleitet…

Dass all dies bei uns möglich ist, liegt, wie wir es heute nennen würden, an unserem ‚Betriebssystem‘, der Art und Weise unseres Denkens. Kant beschreibt dieses ‚Betriebssystem‘ (historisch bedingt) durch 12 Kategorien, von denen eine die Kausalität ist. Wir denken in kausalen Zusammenhängen, weil eine Kategorie, ein wesentlicher Bestandteil unseres Denkvermögens, die ständige Annahme eines möglichen notwendigen Zusammenhangs zweier gegebener Zustände ist.

Kant formuliert das in einem Satz, der Studierenden schnell zum Lehr- und Merksatz wird:

Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung…“ (A 158 & B 197)

 

Randbemerkung für Interessierte:

Dies um es hier nur kurz zu erwähnen, ist Kants trickreicher Ansatz, den er seine „kopernikanische Wende“ nennt:

„Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten, aber alle Versuche a priori etwas über sie durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in der Aufgabe der Metaphysik damit besser fortkommen, dass wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unseren Erkenntnis[vermögen], welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt….“

Auch wenn Kant mit den synthetischen Urteilen a priori über ‚Gegenstände‘ auch so nicht weit kommt, ist diese Wende nicht sinnlos. Dies wird an einem wenig beachteten Werk Kants aus dem Jahre 1786: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft deutlich, wo er versucht Grundgesetze der Newtonschen Mechanik auf eben die Kategorien zurück zu führen, also die Gesetze unseres Denkens. Z.B. führt Wikipedia an:

Bei Veränderungen bleibt die Quantität der Materie unverändert.
Alle Veränderung von Materie hat eine äußere Ursache.
Bei Veränderungen sind Wirkung und Gegenwirkung identisch.

Betrachten wir nur kurz Nr.1, die Konstanz der Materie:

Natürlich ist dieser Massenerhaltungssatz längst durch einen Energieerhaltungssatz ersetzt worden, aber:

Ich bezweifele, dass sich der Energieerhaltungssatz, der zentral zu vielen physikalischen Lösungen beiträgt, wirklich experimentell nachzuweisen ist. Ich halte ihn für eines unserer Axiome der Physik….

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Überblick über alle 10 Folgen:

  1. Was kann ich wissen?
  2. Woran man zweifeln kann
  3. Ich denke also bin ich
  4. Das Subjekt ist sich seiner selbst bewusst, das Objekt ist ungewiss
  5. Können wir das Denken erklären? – Ein kurzer Blick auf Leibniz, ein Ausblick auf Kant
  6. Wo ist Zeit? – Was ist Zeit? – Grundgedanken aus Einsteins Relativitätstheorie
  7. Kant: Raum und Zeit als ‚Formen der Anschauung‘
  8. „Das Ding an sich ist nicht erkennbar.“
  9. Kausalität – und: Randbemerkung für Interessierte (zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft)
  10. Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption. – Und Schluss.