8. „Das Ding an sich ist nicht erkennbar.“

Wer weiß, dass der Mensch alles durch die (rosa?) Brille seines Denkens sieht, ist vielleicht schon ein kritischer Realist, aber doch noch kein kritischer Idealist, wie Kant.

Haben Sie noch den Durchblick – oder war das alles zu viel bis jetzt? In der Tat: Es war viel und wie ich damals den Zugriffsstatistiken sah, hatten vor mehr als 10 Jahren schon manche aufgegeben. „Sie gehören also zu den Unentwegten, die sich nicht so schnell einschüchtern lassen, die nicht so schnell aufgeben“, hatte ich seinerzeit geschrieben, „Willkommen im Club der Philosophen! – Was die Damen unter Ihnen natürlich einschließt, denn Sie sind mit Ihrer ‚Liebe zur Weisheit‘ in heutiger Zeit ohnehin meist in der Überzahl…“

In dieser Zeit scheint sich der Trend anders zu entwickeln, denn mit jedem neuen Kapitel, scheint die Zahl der Leser/innen zuzunehmen… – Herzlich willkommen! – Ich freue mich.

Nun aber genug der Worte. Führen wir uns vor Augen, wo wir mittlerweile stehen:

Unser alltägliches Weltbild ist umgekrempelt.

Abb.1: ’naiver Realismus‘

Nahmen wir bisher an, wir lebten in einer ‚objektiven‘ mit festen Eigenschaften an sich existierenden materiellen Welt, die wir mit Hilfe unserer Sinne zu erkennen hätten (Abb. 1), so müssen wir nun umlernen:

Abb.2: ‚kritischer Realismus‘ –> ‚kritischer Idealismus‘

Was aus außerhalb unseres Denkens wirklich los ist, wissen wir nicht genau. Wir wissen aber, dass uns Wahrnehmungen, Kant nennt diese Sinnesdaten, „Erscheinungen“, gegeben sind. Die in Abb.1 gezeigte Frau stellt sich vor, sie stünde da am Waldesrand und sähe das Dorf. Aber dies ist eine Objektivierung, eine – durchaus sinnvolle! –  Modellvorstellung.

100%ig sicher ist aber  nur die in Abb.2 angedeutete Situation: Die Wahrnehmung eines Dorfes ist dem eigenen Denken, dem Subjekt, gegeben und zwar räumlich und zeitlich.

– In diesen (Anschauungs-) Formen ist uns ALLES gegeben, was uns in der Wahrnehmung erscheint, denn Raum und Zeit gehören ja zu unserem ‚Betriebssystem‘.

Es geht hier also um die Art und Weise, wie etwas gegeben und gedacht wird. Irgendwie  muss es ja geschehen.

Dazu noch ein Beispiel:

Wenn man etwas ausdrücken möchte, oder ein Lied singt, muss dies in irgendeiner Sprache geschehen. Die verwendete Sprache wird dem Inhalt ein bestimmtes Gewand, eine bestimmte Farbe geben. Da der zu vermittelnde Inhalt zuvor auch in irgendeiner Sprache gedacht werden musste, entsteht die Frage, ob es einen ’nackten‘ Inhalt ohne Form, ein ursprüngliches Objekt gibt. Ich behaupte: „nein!“ – Da wir alles zunächst durch die Sinne in bestimmter Art und Weise erfahren, können wir immer nur erkennen, wie die Dinge ‚für uns‘ sind, nicht wie sie ‚an sich‘ sind.

„Das Ding an sich ist nicht erkennbar“, sagt Kant.

Während der kritische Realist noch sagt: Es gibt eine Objektive Welt und Dinge an sich, sie werden durch die menschliche (und auch die individuelle) Wahrnehmung nur ein wenig verändert (wie durch die ‚rosa Brille‘), ist Kant konsequenter: Wie wollen wir wissen, wie das Ding an sich aussieht? Unsere Wahrnehmung ist das Einzige, was uns unmittelbar gegeben ist. Ein dahinter seiendes Ding ist, wenn überhaupt, nur mittelbar zugänglich. Wir wissen weder, ob es an sich materiell-raum-zeitlich ist noch sonst überhaupt etwas. Es scheint zu existieren, denn wir können die Realität nicht ‚wegdenken‘, aber uns ist es als Gedanke, als Idee gegeben. – Hier haben wir es also mit einem Idealismus zu tun, einem kritischen Idealismus, nicht zu verwechseln mit dem klassischen Idealismus Platons….

So, an dieser Stelle brechen meine Aufzeichnungen ab. Meiner Erinnerung nach hatte ich damals noch ein bis zwei weitere Folgen veröffentlicht, die ich aber nicht auffinde.

Ich denke um den Kerngedanken zu Kants Verständnis von wahrnehmendem Erkennen zu verstehen, sollten wir uns zumindest noch kurz mit der Kausalität, dem Denken in Ursache & Wirkung bechäftigen und hören, was die Herren David Hume (1711 – 1776) und Immanuel Kant (1724 – 1804) dazu zu sagen hatten…

Tun wir dies im Mai, am kommenden Freitag, dem 7.5.2021 ab 15 Uhr!

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Überblick über alle 10 Folgen:

  1. Was kann ich wissen?
  2. Woran man zweifeln kann
  3. Ich denke also bin ich
  4. Das Subjekt ist sich seiner selbst bewusst, das Objekt ist ungewiss
  5. Können wir das Denken erklären? – Ein kurzer Blick auf Leibniz, ein Ausblick auf Kant
  6. Wo ist Zeit? – Was ist Zeit? – Grundgedanken aus Einsteins Relativitätstheorie
  7. Kant: Raum und Zeit als ‚Formen der Anschauung‘
  8. „Das Ding an sich ist nicht erkennbar.“
  9. Kausalität – und: Randbemerkung für Interessierte (zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft)
  10. Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption. – Und Schluss.