5. Können wir das Denken erklären? – Ein kurzer Blick auf Leibniz, ein Ausblick auf Kant

Mahlwerk einer Tretmühle - Bild: Fotothek Dresden

Tatsächlich hat Descartes die Welt in zwei Sphären geteilt: die der ‚ausgedehnten Dinge‘ und die der ‚denkenden Dinge‘ und damit die Philosophie der Neuzeit vor eine Aufgabe gestellt an deren vorläufiger Lösung durch Kant sie mindestens 140 Jahre lang gearbeitet hat: Wie ist es möglich, dass beide Sphären miteinander in Wechselwirkung treten?

Wie ist es möglich, dass…

  1. … ein materieller Gegenstand im Erkenntnisprozess zu einem Gedanken wird?
  2. … ich z.B. meinen Arm durch einen Willensakt (einen Gedanken) heben kann?

Und man glaube nicht, dass diese Fragen heute wirklich gelöst seien. Denn trotz aller biochemischen Abläufe sind wir im Prinzip doch nicht viel weiter als z.B. Gottfried Wilhelm Leibniz (1645 – 1716, ab 1676 mit Unterbrechungen in Hannover), es in seinem ‚Mühlengleichnis‘ beschreibt:

„Denkt man sich das Gehirn etwa als eine Maschine, die so beschaffen wäre, dass sie denken, empfinden und wahrnehmen könnte, so kann man sie sich derart vergrößert vorstellen, dass man in sie wie in eine Mühle eintreten könnte. Dies vorausgesetzt, wird man bei der Besichtigung ihres Inneren nichts weiter als einzelne Teile finden, die einander stoßen, niemals aber etwas, woraus eine Empfindung oder Wahrnehmung zu erklären wäre.“ (Dieser Text findet sich unter Verwendung weggelassener und übersetzter Fachbegriffe in der 1714 erschienen ‚Monadologie‘.)

Heute würde Leibniz vielleicht sagen, dass wir nichts anderes als Botenstoffe und Gehirnströme finden, die aufeinander abgestimmt ineinander greifen. Wir wissen auch wo in unserem Hirn sich welche Aktivität zeigt. – Aber wissen wir auch was das ‚Ich denke‘ (oder anders: ‚die Seele‘) bei all dem ausmacht?

Leibniz fand zu diesem Problem keine andere Lösung als die ‚prästabilierte Harmonie‘: Die Welt müsse, um es verkürzt zu beschreiben, von vorn herein so eingerichtet sein, dass während in der Welt der denkenden Dinge ich meinen Arm heben will, dieser in der Welt der ausgedehnten Dinge sich hebt. Eine wirkliche Verbindung zwischen beiden Vorgängen gebe es nicht. Gott habe von vorn herein eine Welt geschaffen, in der alles aufeinander abgestimmt sei: vielleicht nicht perfekt, aber die beste aller möglichen…-

 

Nun haben wir genug Voraussetzungen gesammelt um uns ab der kommenden Woche mit Kants Grundgedanken in der Kritik der reinen Vernunft zu befassen:

  • Wir verstehen die Frage: Wie ist Erkenntnis, d.h. die Verbindung zwischen Denken und Materie, möglich?
  • Wir verstehen, was es heißt, dass das Subjekt Ausgangspunkt aller Erkenntnis ist.

Da wir uns dann aber zunächst mit der Frage wie ‚Was ist Zeit?‘ befassen werden, hier vorweg noch ein orientierender Gedanke, der die Richtung aufzeigt, in der es dann weiter gehen wird:

Bisher wurde das von Descartes gestellte Problem immer so verstanden: Wie ist es möglich, dass wir materiell gegebene Gegenstände erkennen können? Unser Erkenntnisvermögen hatte ich also stets nach den Gegenständen zu richten.

Kant dreht den Spieß um, er vollzieht, wie er sagt eine „Kopernikanische Wende“: ‚Kann es nicht auch sein, dass sich die Gegenstände nach unserem Erkenntnisvermögen richten?‘

Was dies bedeutet, werden wir in der nächsten Woche (Freitag, 16.4., ab 15 Uhr)  an einem ersten Beispiel erörtern.

 

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Überblick über alle 10 Folgen:

  1. Was kann ich wissen?
  2. Woran man zweifeln kann
  3. Ich denke also bin ich
  4. Das Subjekt ist sich seiner selbst bewusst, das Objekt ist ungewiss
  5. Können wir das Denken erklären? – Ein kurzer Blick auf Leibniz, ein Ausblick auf Kant
  6. Wo ist Zeit? – Was ist Zeit? – Grundgedanken aus Einsteins Relativitätstheorie
  7. Kant: Raum und Zeit als ‚Formen der Anschauung‘
  8. „Das Ding an sich ist nicht erkennbar.“
  9. Kausalität – und: Randbemerkung für Interessierte (zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft)
  10. Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption. – Und Schluss.