Besuch bei den Mogulkhel und über das Ringen mit afghanischern Bürokraten

Das hier ist die Fortsetzung meines Berichtes über meinen Mai-Aufenthalt in Afghanistan.  Kollegen und ich waren nach Khost gereist, wo OFARIN ein kleines Büro hat. Dort befanden wir uns gerade und wollte nach Jaji-Maidan reisen.

Als ausländische Hilfsorganisation muss OFARIN alle Inlandsreisen mit ausländischen Teilnehmern den Sicherheitsbehörden anmelden. Bevor wir innerhalb von Khost weiterreisen konnten, schickte uns die lokale Sicherheitsbehörde einige Herren. Die wollten mich in keiner Weise behelligen, sprachen aber eindringlich mit den afghanischen Kollegen. In der Provinz Bamian war ein Anschlag auf eine Gruppe ausländischer Touristen verübt worden. Mehrere spanische Bürger waren umgekommen. Die Beamten in Khost behaupteten, dass Pakistaner die Touristen umgebracht hätten. Das sei eine Rache für die Ermordung einer Gruppe von Chinesen in Pakistan durch pakistanische Aufständische. Pakistan lastet Afghanistan gerne seine inneren Unruhen an. Afghanistan sei umgeben von feindseligen Ländern, jammerten die Sicherheitsleute, von denen nur Böses drohe. Sie wollten auf keinen Fall, dass sich in Khost ein Massaker wie in Bamian ereigne. Deshalb baten sie unsere Leute um vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Deutsche Medien hatten dagegen gemeldet, dass die Da’esch, also der islamische Staat, die Tat begangen hatten. Das ist die glaubwürdigere Version des Geschehens, zumal die Da’esch die Tat für sich reklamiert haben. Die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden war auf jeden Fall berechtigt.

Besuch bei den Mogulkhel: Danach konnten wir in den Bezirk Jaji-Maidan reisen. Der liegt ganz im Osten von Khost an der Grenze zu Pakistan. Im vorigen Jahr hatte ein Team von OFARIN viele bergige Randgebiete von Khost besucht, um zu entscheiden, wo landwirtschaftliche Projekte am nötigsten und am erfolgversprechendsten sind. Das Team entschied sich für das Nussbaumprojekt im Tani-Gebiet, ganz im Süden, weil hier die Erosion dank der Steilheit der entwaldeten Berge weit fortgeschritten war.

Ein anderer heißer Kandidat war schon damals das Siedlungsgebiet des Stammes der Mogulkhel in Jaji-Maidan. Dieser Stamm hat 2000 Familien. Er pflegt ein intensives Zusammenleben, das selbst über das der anderen Stämme in Khost hinausgeht. Fast alles wird in Stammesversammlungen gemeinsam besprochen. Beschlüsse, die dort gefasst werden, sind bindend. Der Stamm verfügt über eine eigene Stammespolizei, die Stammesbeschlüsse durchsetzt. Das geht über alles hinaus, was bei afghanischen Stämmen üblich ist. Die Mogulkhel haben eine ständige Versammlung, die über den Schutz und die Pflege der Bäume entscheidet. Sie haben auch eine solche Versammlung, die bestimmt, welche Weideflächen in welchen Jahreszeiten benutzt werden dürfen. „Sie denken nicht an sich. Sie denken und handeln immer im Sinne der Stammesgemeinschaft.“ sagten meine Kollegen. Das vorbildliche Zusammenleben dieser Menschen verdient eine ausführliche Würdigung, die hier leider nicht möglich ist. Dank ihrer Geschlossenheit können sich die Mogulkhel eine selbständige Politik gegenüber dem afghanischen Staat leisten. Wenn es Spannungen mit Pakistan gibt – und die sind eher die Regel als die Ausnahme – schließt Afghanistan die Grenze. Die Mogulkhel halten ihren Grenzabschnitt zu Pakistan dann weiter für den Personenverkehr offen.

Die Mogulkhel boten sich OFARIN ganz besonders als Vertragspartner an. Auf das, was man mit denen aushandelt, kann man sich verlassen. Die Berge in Jaji-Maidan sind nicht ganz so schroff wie die in Tani. Der Boden dort ist mit Burria bewachsen. Diese Pflanze entwickelt lange, schlanke, auf dem Boden liegende Blätter. In getrocknetem Zustand kann man aus diesen Blättern solide Taschen, Besen, Teppiche, Körbe und sonstige Behälter flechten. Doch ökonomisch und ökologisch ist es weit vorteilhafter, die Gegend ebenfalls mit Walnussbäumen zu bepflanzen. Hier geht es also nicht um Wiederaufforstung sondern um Aufforstung. Die Größenordnung eines solchen Projektes könnte der in Tani entsprechen.

Außerdem stießen wir dort immer wieder auf Gruppen von Olivenbäumen. Die tragen aber keine Früchte. Dazu müsste man Zweige, die Frucht tragen können, aufpfropfen. Ein entsprechendes Projekt drängt sich geradewegs auf.

Wir wurden von Ingenieur Malek durch das Gebiet begleitet. Er hatte den Auftrag der Mogulkhel uns die Vorstellung der Bevölkerung von möglichen landwirtschaftlichen Projekten zu erläutern. Er machte einen sehr kompetenten Eindruck. OFARIN wird die Vorschläge der Mogulkhel sehr ernsthaft prüfen.

OFARINs Unterricht in Khost: Die Gegend Sabari war im Krieg sehr umkämpft. Jede Familie hat mehrere Mitglieder durch Kampf oder Bombardements verloren. In dieser Gegend haben einige unserer Kollegen privat Land gepachtet und planen die Anpflanzung von Blauglockenbäumen. OFARIN hat dort seit mehreren Monaten ein Unterrichtsprogramm begonnen. Der Lehrer Nagibullah und seine Schwester Mowakila betreiben für uns je eine Klasse. Sie wurde mehrfach von OFARINs Trainern aus Kabul besucht. Man war immer sehr zufrieden mit dem Unterricht. Ich wollte auf der Rückreise von Jaji-Maidan zumindest die Jungenklasse besuchen. Doch meine Kollegen rieten ab. Das könne den Unterricht gefährden. Der Unterricht sei vom Erziehungsministerium noch nicht anerkannt. Deshalb habe Nagibullah gegenüber den Sicherheitsbehörden behauptet, der Unterricht sei eine Privatinitiative. Wenn sich jetzt fremde Autos mit Ausländern zeigten, verstünden die Sicherheitsbehörden, dass der Unterricht doch von einer ausländischen Organisation veranstaltet werde, und könnten Schwierigkeiten machen.

Das konnte ich nicht dulden. OFARIN hätte die Kontrollmöglichkeiten über diesen Unterricht weitgehend verloren. Ich bat Nagibullah in unser Khoster Büro und erklärte ihm, dass wir seinen Unterricht unter diesen Umständen nicht weiter finanzieren können. Er wies daraufhin, dass der Unterricht bei der Bevölkerung sehr gut ankomme. Viele Menschen äußerten den Wunsch nach der Eröffnung weiterer Klassen. Ich war der Meinung, dass dieser Wunsch sich dadurch manifestieren müsse, dass führende Persönlichkeiten den Wunsch der Bevölkerung nach OFARINs Unterricht unterstützen, so dass der Unterricht auch ohne offizielle Genehmigung geduldet wird. Dazu führte ich die Lage in der Provinz Logar an, wo 40 Schulklassen von OFARIN von den Behörden geduldet werden, ohne dass sie vom Erziehungsministerium offiziell anerkannt sind. Anders sei die Lage in der Provinz Pandschir. Wegen der spannungsreichen Beziehungen der dortigen Bevölkerung zu den Taliban, wagten es unsere Lehrerinnen, Lehrer und Trainer in Pandschir bisher nicht, den Unterricht wieder aufzunehmen.

Nagibullah versprach nach solcher Absicherung des Unterrichts durch die Duldung durch führende Persönlichkeiten zu suchen, so dass man in Khost zu Zuständen wie in Logar komme. Wir gaben ihm Zeit dafür und erlaubten ihm und seiner Schwester, den Unterricht zumindest zwei Monate lang fortzuführen, bis die Alphabetisierung abgeschlossen sei.

OFARINs Hebammenprogramm: In Kabul hatten wir ein Hebammenprogramm im Stadtteil Schindowal inoffiziell begonnen. Vier gelernte Hebammen hatten im Vorjahr mit der Beratung von Frauen und Mädchen begonnen. Inzwischen haben sie schon Schwangerschaften begleitet und Neugeborene betreut. Es wurde Zeit, das Programm dem Gesundheitsministerium vorzustellen, um es als offizielles Programm anerkennen zu lassen. Da erfuhren wir, dass das Ministerium neue Hebammenprogramme nur unter speziellen Bedingungen zulässt. Insbesondere sollten nur Programme außerhalb der Stadt Kabul genehmigt werden. Wir hätten also mit unseren Hebammen aufs Land ziehen müssen. Selbstverständlich hätten die Taliban das nur erlaubt, wenn die Ehegatten oder die Eltern der Hebammen mit umgezogen wären. Das war unvorstellbar. Wir baten Anjuman, unseren Wunsch nach Eröffnung des Hebammenprogramm in Schindowal beim Minsterium zu vertreten. Anjuman ist die Vertretung der Bevölkerung von Schindowal. Die Behörden arbeiten gut mit Anjuman zusammen. Natürlich hat Anjuman großes Interesse an unserem Hebammenprogramm. Die Hebammen und Anjuman bedrängten das Gesundheitsministerium schriftlich und mit persönlichen Besuchen.

Das scheint gewirkt zu haben. Der zuständige Beamte teilte Anjuman mit, dass er unser Hebammenprogramm genehmigen werde – sobald er von der Hadsch zurück sei. Die vier Wochen Wartezeit, die das bedeutet, nehmen wir gerne in Kauf, wenn es bei der Zusage bleibt.

Ich habe hier etwas ausführlicher über die Hindernisse geschrieben, die uns die Arbeit nicht gerade erleichtern. Vielleicht langweilt das manche Leser. Die sollten aber wissen, dass das zähe Ringen mit der Bürokratie dazu gehört. Es ist ein wesentlicher Teil unserer Arbeit.

Mit freundlichen Grüßen,

Peter Schwittek.

 


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