Persönliche Eindrücke aus Afghanistan und – Ofarins neue Pläne

Einige Neugierige hatten uns gebeten, gleich nach dem Eintreffen aus Afghanistan zu berichten. Das taten wir. Den Bericht der dabei entstanden ist, schicken wir hiermit kaum verändert auch allen anderen Lesern unserer Rundbriefe:

Allererste Eindrücke aus Kabul

Ewas ist im Büro von OFARIN für die Sauberkeit der Räume zuständig. Er gehört zum Volk der Hazara, das in Afghanistan eine oft benachteiligte Minderheit darstellt. Wie ziemlich alle Menschen hier hält er die radikalen Einschränkungen in der Ausbildung von Frauen und Mädchen für vollkommen falsch. „Wo sollen in Zukunft genug Ärztinnen und Lehrerinnen herkommen, zu denen unsere Frauen und Mädchen gehen können?“ Schließlich reiten die Taliban auf einer strikten Geschlechtertrennung herum. Frauen dürfen nur von Ärztinnen untersucht und Mädchen nur von Lehrerinnen unterrichtet werden.

Aber sonst ist Ewas mit der Regierung zufrieden. Endlich kann er gefahrlos hingehen und hinreisen, wo er will. Auch sei es jetzt unwichtig, welchem Volk man angehöre. Die Befürchtung, dass die Taliban ihre Machtstellung ausnutzen, um insbesondere die Hazara aus ihren angestammten Siedlungsgebieten zu vertreiben, hätten sich nicht bestätigt. Die Taliban hätten für Frieden unter den Ethnien gesorgt. Auch werde nicht nachgeforscht, wer im Krieg zwischen den Anhängern der Republik und den Taliban was gewesen sei. Und die Verwaltung sei jetzt bei weitem nicht so korrupt wie in der Republik.

In späteren Gesprächen relativiert sich das Bild. Tatsächlich ist es die Politik der Taliban-Führung, Auseinandersetzungen unter den Ethnien zu vermeiden und mit den ehemaligen Feinden Frieden zu schließen. Insbesondere frühere Regierungssoldaten bis hinauf zum General dienen jetzt bei den Taliban-Streitkräften.

Aber viele Einzelfälle passen nicht in das idyllische Bild von Ewas. Unser ehemaliger Manager musste untertauchen, weil es einem höheren Beamten, den die Taliban eingesetzt hatten, gefiel, ihn als iranischen Spion zu bezeichnen und einen Haftbefehl gegen ihn zu erwirken. Der Büroleiter einer anderen ausländischen Hilfsorganisation wurde von einem ähnlichen Taliban-Beamten als korrupt bezeichnet. Der Beamte forderte die Organisation auf, den Büroleiter zu entlassen, ohne dass er Beweise vorlegen konnte.

Ein Mann betritt ein Friseurgeschäft und begrüßt dort einen Bekannten, der auf seine Behandlung wartet. „Mensch, da bist Du ja. Ich dachte, die hätten dich verhaftet.“ – „Ja, die hatten mich verhaftet. Aber jetzt haben sie mich freigelassen.“ Der Freigelassene erzählt, dass er eine ihm bekannte Dame in seinem nagelneuen Auto mitgenommen habe. Man habe sie gestoppt und beide verprügelt und misshandelt. Eine Frau darf sich nicht in Begleitung eines Mannes begeben, der nicht zu ihrer Familie gehört. Das war hier der Fall. Die Taliban boten dann an, von weiteren Misshandlungen abzusehen und die Misshandelten nicht als Missetäter auf Facebook zu veröffentlichen, wenn er ihnen sein neues Auto überschreibe. Ihm sei nichts anderes übriggeblieben, als das zu tun. Vermutlich war das Taliban-Kommando eine rein private Initiative, die von Anfang an nur das Auto stehlen wollte.

Ein älterer Herr hat ein Auge auf unsere junge Kollegin geworfen. Er würde sie gerne als dritte Ehefrau in seinen Harem aufnehmen. Die Kollegin und ihre Familie lehnen das entsetzt ab. Der Mann geht zu den Taliban und erklärt, dass die Kollegin durch die Arbeit mit uns Ausländern total verdorben sei. Sonst hätte sie ja sein Angebot angenommen. Die Taliban laden den Vater der Kollegin vor und setzen ihn unter Druck. Die Familie flieht ins Ausland.

Ein afghanischer Freund und ich haben Landsleute vom Flugplatz abgeholt. Jetzt fahren wir zurück zum Kabuler Büro. Da überholt uns ein Fahrzeug. Die Insassen sind ihrer Haartracht nach Taliban, vermutlich Polizei. Sie geben uns ein Zeichen anzuhalten. Wir fahren an den Straßenrand. Hinter uns stoppt ein anderes Fahrzeug. Der Fahrer – seiner Haartracht nach auch ein Talib – springt aus dem Auto und zieht eine Pistole. Die ersten Taliban flüchten. Der Mann mit der Pistole ist ein echter Taliban-Polizist. Er wollte seine Kinder zur Schule bringen. In der Besatzung des anderen Fahrzeugs erkannte er Verbrecher, die uns kidnappen wollten.

Die Mitglieder der Taliban-Regierung können sich in wichtigen Fragen, wie der Ausbildung und der Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen nicht einigen. Der Emir Hobaitullah hat sehr restriktive Anordnungen erlassen. Die meisten Minister waren strikt dagegen. Aber sie konnten den Emir nicht bloßstellen, indem sie seinen Anordnungen widersprachen. So geht man auch mit kleineren Taliban-Fürsten um: Wenn ein talibanischer Abteilungsleiter einen unbescholtenen Menschen als iranischen Spion oder als korrupt hinstellt, dann wissen andere Taliban, dass das Unsinn ist. Aber sie stellen die Sache nicht richtig, denn das würde dem Abteilungsleiter, also einem der Ihren, das Gesicht kosten. Dieser Korpsgeist macht viele Taliban zu kleinen Königen in ihrer Welt, in der sie selber Recht setzen.

Übergriffe von Verbrecherbanden, die sich als Taliban verkleiden, werden oft nicht verfolgt, vermutlich weil die verkleideten Taliban echte Taliban sein könnten.

Meist geht Willkür von „kleineren“ Taliban aus und kommt nicht von „weiter oben“, also von der Regierung. Dagegen scheint das Vorgehen gegen afghanische Journalisten von der Regierung koordiniert zu werden. Wer als Journalist im Verdacht steht, in den Medien oder in den „sozialen Netzwerken“ Regierungsfeindliches äußern zu können, ist gefährdet.

Insgesamt hat man den Eindruck, dass die Taliban-Führung in Fragen, in denen sie sich einigen kann, eine recht vernünftige Politik betreibt. Der Verwaltung wird bescheinigt, dass sie effizienter arbeitet als die Verwaltung in der demokratischen Zeit. Das Drogenproblem haben die Taliban mit Entschlossenheit aber auch mit Brutalität angepackt. Drogenkranke, die nach einer Entgiftungsbehandlung rückfällig werden, werden erschossen. Internationale Unterstützung könnte viele Betroffene retten. Würden sich die Taliban auf eine vernünftige Politik hinsichtlich der Ausbildung und Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen einigen, und ihre Anhängerschaft strenger führen, wäre Afghanistan auf einem guten Weg.

Am Abend unserer Ankunft fand die Verlobungsfeier der Schwester eines Kollegen statt. Das geschah in einem der Hochzeitspaläste. Dabei wird nach Geschlechtern getrennt gefeiert – in einem Stock mindestens 200 Männer im anderen Stock 200 Frauen mit 50 Kleinkindern. Manchmal sind es über 500 Personen je Stockwerk. In republikanischen Zeiten gab es dazu brüllend laute Musik, die in einem Stockwerk von einer Band dargeboten und in den anderen Stock übertragen wurde. Die Taliban erlauben als Musik nur noch eintönigen religiösen Singsang von Männerchören – nichts für Verlobungen. Ich fragte, ob es bei dieser Feier Musik gegeben habe. Die Teilnehmer grinsen. „Ja, bei den Frauen gab es Musik.“ Da habe jemand Musik auf einem Stick mitgebracht, und die sei über die Lautsprecher übertragen worden. „Gab es für die Veranstalter deshalb Ärger?“ – „Davon haben wir nichts mitbekommen.“

Drei Wochen später

Inzwischen ist mehr als der halbe September vorbei. Aber die ersten Eindrücke waren schon richtig. Übergriffe von Taliban werden nicht geahndet, weil sie das Renommée der Bewegung beschädigen könnten. Das untergräbt die Rechtsordnung. Die Taliban machen aber keine Anstalten, ihre Anhänger wie normale Bürger zur Rechenschaft zu ziehen.

Leider ist auch nicht zu erkennen, wie es mit der Schulpolitik des Emirs Hobaitullah, also des Staatsoberhaupts, weitergehen soll. Schon bei den „alten Taliban“, aber nun auch bei den „Neuen“ hatte ich viele leitende Persönlichkeiten kennen gelernt, die wissen, was für die Zukunft ihres Landes wichtig ist, die konstruktiv und pragmatisch denken. Ein Emir, der Mädchen und Frauen jede Ausbildung verweigert, passt überhaupt nicht zu denen. Für eine Volkswirtschaft, die ihr Land ernähren soll, ist dieser Kerl ein Wahnsinn. Sicher, wenn man von den verbissenen Kämpfen weiß, die in Afghanistan um „Modernisierung“ und „Tradition“ seit mindestens einem Jahrhundert stattfinden, dann ist dieser Emir und sein Denken keine Überraschung. Ich lerne viele „vernünftige“ Taliban kennen, weil die mir gerne zeigen, wie sie denken und auf eine freundschaftliche Zusammenarbeit hoffen. Afghanen, die denken wie ihr Emir, erwarten nichts Positives von Kontakten zu mir. Sie gehen mir aus dem Weg.

Daher bin Ich Ausländer auch nicht derjenige, der herausfinden kann, wie groß der Anteil der „fortschrittlichen“ und der „rückständigen“ Taliban ist. Danach kann ich meine afghanischen Kollegen und Freunde fragen. Aber objektiv ist das auch nicht, was die einschätzen. Von allen Menschen höre ich, dass nicht nur die Mehrheit der Menschen, sondern auch die meisten Taliban die Obstruktion des Unterrichts für Frauen ablehnen. Zumindest die Haltung des Kabinetts der Taliban entspricht diesen Einstellungen. Diejenigen, die so denken, wie der Emir, sind eine kleine Minderheit.

Doch das Kabinett der Taliban entscheidet nicht nach demokratischen Regeln. Im Grunde wissen wir Ausländer nichts über die Entscheidungsprozeduren der Taliban. Es ist denkbar, dass die Taliban-Führung damit leben kann, dass sie bei kontroverser Interessenlage keine Entscheidung fällt, und gegensätzliche Einstellungen nebeneinander bestehen bleiben.

Der Emir hat eine Entscheidung getroffen. Die Mehrheit der Taliban-Minister ist entsetzt. Doch wenn sie dem Staatsoberhaupt offen widersprechen, oder offen anders handeln, als er verfügt hat, ist er als Oberster erledigt. Das Staatsgefüge der Taliban stürzte ein.

So wird die Lebenspraxis dazu führen, dass das Wort des Emirs nicht angefochten wird, aber jeder so handelt, wie er es für richtiger hält. Sicher wird es eine Weile dauern, bis Frauen studieren dürfen. Aber, dass ältere Mädchen, die eigentlich nichts mehr lernen dürften, doch Klassen besuchen, schleicht sich jetzt schon ein. Vielleicht geschieht sogar das Wunder, dass die Unterrichtsverbote des Emirs doch noch aufgehoben werden. Bis dahin wird jemandem, der nach Afghanistan reist, um an alles unvoreingenommen und mit gesundem Menschenverstand heranzugehen, viel abverlangt.

Als wir in Kabul eintrafen, wollten wir herausfinden, wie sehr sich die Praxis schon den Wünschen der Menschen angepasst hat. Anfang Juli hatte das Erziehungsministerium den ausländischen Hilfsorganisationen, die in der Erziehung tätig sind, mitgeteilt, dass sie ihre Arbeit bis auf Weiteres einstellen sollen. Eine schriftliche Begründung werde in Kürze an alle verschickt werden. Bis jetzt ist niemandem etwas zugeschickt worden. Einige Beamte des Erziehungsministeriums hatten wir als Pragmatiker kennen gelernt. Wir schickten Mitarbeiter zu ihnen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was inzwischen im Unterricht möglich ist. Unsere Kollegen trafen aber nicht auf konstruktiv denkende Beamte, sondern auf einen Abteilungsleiter, der für die Zusammenarbeit mit ausländischen Hilfsorganisationen zuständig ist. Die Stellen für Abteilungsleiter oder höhere Chargen hatten sonst die Taliban mit eigenen Leuten besetzt. Dieser Abteilungsleiter war aber kein Talib. Er war aber nicht entlassen worden. Das dankte er der rückständigen Taliban-Fraktion durch Linientreue. Er erklärte unseren Leuten, dass alle internationalen Hilfsorganisationen, die weiter mit dem Erziehungsministerium zusammenarbeiten wollten, sich in afghanische Hilfsorganisationen umwandeln oder ihren Vertrag mit dem Erziehungsministerium kündigen müssten.

Afghanische Hilfsorganisationen haben gegenüber afghanischen Behörden einen wesentlich schwächeren Stand als internationale Organisationen. So können afghanische Organisationen ihre Posten nur mit dem Einverständnis des Partnerministeriums besetzen. Das Ministerium kann Personalvorschläge der afghanischen Organisation ablehnen und stattdessen eigene Kandidaten einsetzen. Auf diese Weise gelangen derzeit viele Taliban auf die Lohnlisten afghanischer Organisationen. OFARIN wird keine afghanische Hilfsorganisation werden. Es ist auch unvorstellbar, dass internationale Hilfsorganisationen wie IRC, ACTED oder UNICEF, die den Unterricht von Tausenden von Klassen finanzieren, afghanische Organisationen werden.

Jedenfalls fragten unsere Mitarbeiter, ob der Abteilungsleiter ihnen seine Anordnung schriftlich geben könne. Der Beamte verneinte. Zwar habe er selber ein solches Schreiben von „ganz oben“ erhalten. Er zeigte unseren Leuten ein Schreiben aus einer Entfernung, so dass sie nichts lesen konnten. Dieses Schreiben ließe er Dritte nicht lesen. Er gäbe den Inhalt auch nicht schriftlich weiter.

Unsere Kollegen fragten nach dem Grund der Geheimhaltung. Der Abteilungsleiter erläuterte, dass alles sofort in die Medien gelange, wenn es andere lesen könnten. Damit hatte der Beamte eigentlich genug über das Verwaltungshandeln seines Ministeriums gesagt.

Bei OFARIN diskutierten wir die Lage und entschieden, dass wir die nur mündlich ergangenen Anordnungen nicht zur Kenntnis nehmen und also unseren Unterricht fortsetzen werden. Allerdings müssen wir dem Wirtschaft- und dem Finanzministerium alle sechs Monate einen Finanzbericht vorlegen. Den müssen die Partnerministerien, mit denen wir tatsächlich zusammenarbeiten, gegenzeichnen. Zeichnet das Erziehungsministerium gegen, kann OFARIN die Zusammenarbeit fortsetzen. Verweigert das Erziehungsministerium seine Unterschrift, wird OFARIN seinen Unterricht „inoffiziell“ fortsetzen.

Wir werden an allen Standorten mit allen Klassen durchsprechen, ob sie unter diesen Umständen die Arbeit fortsetzen wollen. Im Falle einer Kontrolle müssten sie sagen, dass der Unterricht von den Familien der Teilnehmer finanziert wird. Tatsächlich ist OFARIN bereit, solchen Unterricht wie bisher mit Material und Lehrergehältern zu finanzieren. Einige Klassen wollen nur noch zum Religionsunterricht zusammenkommen. Diese Klassen können wir nicht unterstützen. Noch haben nicht mit allen Standorten Gespräche stattgefunden. Im Kabuler Stadtteil Arsan Qimat sind Ausweitungen des Unterrichts geplant. In der Provinz Khost soll der Unterricht beginnen. Auch an den Neubeginn der sehr beliebten Vorschulausbildung wird gedacht. Wir werden über die Weiterentwicklung des Unterrichtswesens informieren.

OFARIN plant aber auch Aktivitäten im Bereich der Landwirtschaft. So sollen in der Provinz Khost 20.000 Walnussbäume auf 2 qkm Land gepflanzt werden. Das Projekt soll schon in diesem Herbst beginnen. Das Wirtschaftsministerium hat das Programm gebilligt. Die Zustimmung des Landwirtschaftsministeriums wird demnächst erwartet.

Die Setzlinge für die Nussbäume werden erworben und von den Angehörigen des Stammes, auf dessen Gebiet das Programm stattfindet, in diesem Winter eingepflanzt. Von März 2024 an müssen die eingesetzten Bäume nur noch geschützt und gepflegt werden. Auch das übernehmen die Angehörigen der betroffenen Stämme. Regelmäßige Schulungen der Betroffenen sind geplant. Im März 2027 übernimmt der Stamm die jungen Bäume, die dann erste Früchte tragen.

Das Projekt trägt zur Wiederbewaldung eines früher waldreichen Landstriches bei, wo aber in den letzten hundert Jahren rücksichtslos abgeholzt wurde. Da die Nüsse ein Erntegut sind, dessen Wert den einer einmaligen Abholzung der Bäume übersteigt, werden die Menschen die Bäume auch schützen und erhalten, wenn sie in ihre Obhut übergegangen sind.

Ein weiteres landwirtschaftliches Projekt wird wohl die Anlage eines Stalls für 25 Kühe und einen Bullen am Stadtrand von Kabul werden. Das Projekt soll 2024 und 2025 durchgeführt werden. Ein Antrag an das Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium wird gestellt.

Als sehr lästig empfinden wir das Verbot, dass Trainerinnen – also Betreuerinnen des Unterrichts – sich nicht in unserem Büro aufhalten dürfen. Wenn eine Mädchenklasse besucht oder Lehrerinnen in einem Seminar auf neuen Unterricht vorbereitet werden sollen, müssen wir die Trainerinnen in ihren Privatwohnungen abholen. Gemeinsam auf ihren Auftritt vorbereiten können sie sich kaum. Die nachträgliche Berichterstattung vor den Kollegen im Büro ist geheim. Zunächst durften Mitarbeiterinnen von Hilfsorganisationen im Unterrichtswesen auf Grund der Geschlechtertrennung zu ihren Arbeitsplätzen kommen. Aber dann hatte sich der Emir so über die Proteste von Frauen gegen seine Unterrichtspolitik geärgert, dass er die Damen auf diese Weise schikanierte. Jetzt dürfen nur noch Frauen, die bei medizinisch arbeitenden Hilfsorganisationen beschäftigt sind, ihre Büros aufsuchen.

Das Hebammen-Projekt entsteht

Das ließ bei OFARIN die Idee eines medizinischen Projekts aufkommen. Im letzten Jahrzehnt wurden in Afghanistan viele Hebammen ausgebildet. In manchen unserer Unterrichtsgebiete haben wir durch unsere Lehrerinnen, Trainerinnen, Lehrer und Trainer Einblick in das Leben der meisten Familien. Wir wollen nun in höchstens drei Kabuler Unterrichtsgebieten, in denen wir tatsächlich die meisten Familien kennen, ein Beratungssystem für Schwangere und Wöchnerinnen aufbauen. Ausgebildete Hebammen gibt es in unseren Unterrichtsgebieten. Mit solchen Damen erörtern wir gerade die Einzelheiten eines solchen Programms. Diese Idee entstand im Kreise männlicher Mitarbeiter. Es war sofort klar, dass das Programm nicht nur eine Hintertür für weibliche Mitarbeiter sein sollte, wieder ins Büro zu kommen. Die Begeisterung für ein Hebammenprogram war sofort groß und die Wichtigkeit eines solchen Programmes wurde von den Männern erkannt und betont. Hier muss noch mit dem Wirtschafts- und dann mit dem Gesundheitsministerium verhandelt werden. Wir hoffen Anfang 2024 mit dem Einsatz der Hebammen.

Liebe Leser, manche von Ihnen werden sich die Augen reiben, wie wir hier locker unsere Arbeitsgebiete ausweiten. Das kostet doch. Ja, das stimmt. Wir bei OFARIN denken an deutlich höhere Ausgaben als bisher. Wir haben das Glück, dass eine sehr potente Spenderpersönlichkeit zu uns gestoßen ist. Diese legt allerdings Wert auf Anonymität. Das respektieren wir selbstverständlich und bitten Sie, es ebenfalls zu tun. Wir haben jetzt Möglichkeiten, die noch über das hinausgehen, was hier skizziert wurde. Wir wollen das alles tun, aber auch das verbessern, was wir seit Jahrzehnten ganz gut gemacht haben – unser Unterrichtsprogramm. Im Augenblick erfordert unser Engagement vor allem die Anpassung unserer personellen Möglichkeiten. Das kostet Zeit. Eine Gemeinschaft wie OFARIN muss in natürlichem Tempo wachsen. Die wirklich guten Verhältnisse, die wir unter unseren Mitgliedern und Mitarbeitern in Afghanistan und in Deutschland haben, sind viel Wert. Ich möchte sie nicht gegen schiere Größe tauschen.

Keiner unserer Spender soll denken: „OFARIN hat jetzt genug. Die brauchen mich nicht mehr.“ Es stimmt schon, dass es jetzt keine Existenzbedrohung für OFARIN ist, wenn Sie ihren Beitrag etwas senken. Aber Ihr engagiertes und auch kritisches Mitdenken brauchen wir weiterhin – und ein klein wenig Ihr Herz. Bleiben Sie bei uns! Es ist jetzt vieles möglich, wovon wir bisher nur geträumt haben. Wenn wir etwas Glück haben, werden wir einiges erreichen und auch viel Freude daran haben. Und da sollten Sie dabeisein.

Herzliche Grüße,

Peter Schwittek.