OFARINs erster vorsichtiger Kontakt zu den Taliban – Ergänzung zu Roya

Royas operiertes Auge ist noch etwas geschwollen. Das gibt sich noch. -- Foto: OFARIN

Dieser Rundbrief kommt für OFARINs Verhältnisse etwas früh im Monat. Woher die Eile? Es geht ums Geld. Wir hatten im August noch schnell 27.400 € nach Kabul geschickt. Zwei Tage später, kam das Geld an; aber die Taliban auch. Die Bank wurde geschlossen.

Danach fanden wir einen anderen Weg, Geld nach Afghanistan zu transferieren. Den nutzten wir und schickten weitere 30.000 € nach Kabul. Damit waren die Kassen in Deutschland leer. In Kabul reichte es gerade so, denn inzwischen war Zeit vergangen und OFARIN war vielen Verpflichtungen nur verspätet nachgekommen. Das Geld auf der Kabuler Bank war weiterhin kaum verfügbar. Immerhin tröpfelt es jetzt. Die Kollegen können jede Woche 5 % der Einlagen abheben. Das bringt nicht viel. Hinzu kommt, dass sich erhebliche Währungsverluste einstellen, weil der Afghani, die afghanische Währung, rapide an Wert verliert.

Vielleicht haben Sie Sorgen, dass wir uns durch die Transaktion „auf einem anderen Weg“ dem Verdacht der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung aussetzen? Unsere Tochter ist Anwältin und Notarin und sprach die Sache mit ihren Kollegen durch. Bei Spendengeldern ist Geldwäsche kaum denkbar. Gegen den Verdacht der Terrorfinanzierung sichert man sich durch zeitnahe Dokumentierung der Einnahmen und Ausgaben ab. Das tun wir.

Inzwischen sind wir wieder vor allem mit den Lohnzahlungen im Rückstand, während sich in Deutschland die Kasse nur langsam erholt. Das ist ein jahreszeitliches Phänomen. Zu Weihnachten erhalten wir viele Spenden, aber vorher wird es eng. Daher möchte ich diejenigen, die uns zu Weihnachten oder zum Jahresende bedenken wollen, bitten, Ihre Spende zeitlich etwas vorzuziehen, wenn das technisch möglich ist. Sonst könnten wir Liquiditätsprobleme bekommen. Erfahrungsgemäß ist damit zu rechnen, dass wir uns ab Weihnachten wieder in sicherem Fahrwasser befinden.

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Erster Kontakt zu Taliban

Manche von Ihnen fragen sich vielleicht, was sie mit OFARIN derzeit unterstützen. Schließlich findet bei uns kein Unterricht statt. Die Taliban haben noch nicht zu einer arbeitsfähigen Ordnung gefunden. Immerhin ist in unserem Partnerministerium für Religiöse Angelegenheiten, die Stelle des Abteilungsleiters, dessen Abteilung bisher für die Zusammenarbeit mit uns zuständig war, besetzt worden. Machen Sie sich bitte klar, dass die Beamten bisher nicht bezahlt werden!

Abdul Hussain, unser Büro-Manager, hat den Abteilungsleiter gleich aufgesucht und mit ihm über viele Aspekte unserer Arbeit gesprochen. Der Mann war zu neu im Amt. Ein Knackpunkt war die Teilnahme von Mädchen am Unterricht. Das Problem ist die „Unreinheit“ von Mädchen mit dem Beginn der Pubertät. Die „alten Taliban“ – also die, die bis 2001 an der Macht waren – erlaubten Unterricht für Mädchen in der Moschee bis zur fünften Klasse. Der Abteilungsleiter schreckte schon davor zurück, achtjährige Kinder in die Moschee zu lassen. Vermutlich ließen sich seine Bedenken mit einigem Aufwand beseitigen. Man könnte Mädchenklassen auslagern. Aber der Abteilungsleiter wusste nur vorzuschlagen, die Frage zunächst mit anderen Taliban zu besprechen. Und so geschah es mit allen anderen Problemen, die Abdul Hussain ansprach.

Die Taliban-Führung bittet die ausländischen Hilfsorganisationen darum, im Land zu bleiben, weil sie gebraucht werden. Andrerseits werden Mitarbeiter solcher Organisationen immer noch bedroht. Eine einvernehmliche Wiederaufnahme des Unterrichtsbetriebes hätte OFARINs Belegschaft vor Belästigungen von Taliban-Kommandos schützen sollen. Diese Hoffnung kam etwas verfrüht. Übrigens ist unser Büro – im Gegensatz zu Wohnungen unserer Mitarbeiter – bisher vor unliebsamen Besuchen verschont geblieben. Dort halten sich immer ein Bereitschaftsfahrer und ein Nachtwächter auf. Der Koch und andere Mitarbeiter kommen gelegentlich vorbei. Ach so, ein Schäferhund mit kräftiger Stimme ist immer anwesend.

 

Zur Lage der Bevölkerung

Ein Freund hat einen Link zu einem Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt geschickt: https://www.aerzteblatt.de/pdf/118/44/a2050.pdf Dort schildert ein Arzt seinen Einsatz für „Ärzte ohne Grenzen/MSF“ in Herat. Der Artikel gibt einen niederschmetternden Eindruck in die medizinische Versorgung.

Die allgemeine Versorgungslage der Bevölkerung verschlechtert sich. Die Vereinten Nationen haben von der Weltgemeinschaft eine Milliarde Dollars erhalten, um in Afghanistan eine Katastrophe zu verhindern. Aber wie soll die UN diese Hilfe organisieren? Vermutlich würde es in der jetzigen Situation helfen, einfach Bargeld zu verteilen, damit die Menschen wieder Lebensmittel kaufen können. Das würde den nötigen Import ankurbeln. Aber wie kann die UN dafür sorgen, dass das verteilte Geld alle Menschen erreicht? Dafür müsste enorm viel Personal eingesetzt werden. OFARIN würde sich gerne an einem schlüssigen Konzept beteiligen. Aber wer kann ein solches Programm schnell genug aus dem Boden stampfen?

 

Roya

OFARIN kann bestenfalls, seine Mitarbeiter, Lehrer und Schüler mit dem Nötigsten versorgen. Weiter reichen unsere Mittel nicht. Immerhin ist es gelungen, die Behandlung von Roya abzuschließen. Roya ist die Tochter unseres Türwächters Hekmat. Sie wurde als Zwillingskind mit einer beidseitigen Hüftluxation geboren. Ihre Oberschenkel saßen nicht in den Hüftpfannen. 2013, als Roya 15 Monate alt war, konnten wir sie mit ihrem Vater nach Deutschland holen, wo sie in der Klinik der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in Großhadern operiert wurde. Nach drei Monaten kehrten Vater und Tochter nach Afghanistan zurück. Roya kann jetzt springen und rennen wie andere Kinder. Allerdings schielte sie noch kräftig. Das wurde behandelt. Doch zunächst entschied der Augenarzt, dass Roya für eine Operation noch zu klein sei. Gerade ist diese nun erfolgreich durchgeführt worden.

[Von Roya war bereits in einem Rundbrief im Frühjahr 2018 die Rede. Einen Auszug davon finden Sie weiter unten am Ende dieses RundbriefsAnm. d. Red.]

 

Dafür hat es einen unserer Lehrer in Logar, Herrn Ahmad Nabi, böse getroffen.

Herr Ahmad Nabi (Bild) unterrichtete dort seit drei Jahren zu unserer vollen Zufriedenheit. Das Vorrücken der Taliban erfüllte ihn mit großer Sorge. Gegenüber seiner Familie und unserem Trainer in Logar sprach er oft über seine Angst, dass die Taliban die Weiterarbeit von OFARIN verbieten könnten. Als die Taliban kamen, hat er einen Tag lang nichts gegessen und nicht geschlafen und ist seitdem mental stark geschädigt. Die Familie brachte ihn zu einem Arzt und konnte die Medikamente kaum bezahlen. Das Bild gibt einen Eindruck davon, dass er in der Provinz Logar mit Sicherheit nicht die ärztliche Betreuung erhielt, die nötig wäre. Vermutlich kann man auch in Kabul kein Wunder vollbringen, doch eine Linderung seiner Probleme sollte möglich sein. Die Kabuler Kollegen werden sich um eine bessere Behandlung und Medikamente für Ahmad Nabi bemühen.

 

Vorträge:

Schließlich ist anzukündigen, dass ich in diesem Monat über Afghanistan und OFARINs Engagement dort,

am Donnerstag, dem 18.11. um 19:30 Uhr,

in Randersacker in der St.Stephanus-Kirche

und

am Dienstag, dem 23.11. um 19:00 Uhr

in der Evangelischen Thomaskirche in Bonn-Röttgen,

Herzogsfreudenweg 44

berichten werde. In Randersacker wird es allgemein um die Lage und um unser Tun gehen. In Bonn wird versucht, Afghanistan etwas besser zu verstehen. In beiden Fällen wird es möglich sein, Fragen zu stellen und zu diskutieren. Wer in der Nähe wohnt, kann gerne vorbeikommen.

Herzliche Grüße,

Peter Schwittek.

Ein Spendenkonto und

weitere Informationen zu OFARIN und Afghanistan finden Sie hier:

https://www.ofarin.org/spenden

 

 

Ergänzung der Redaktion:
Leider sind nicht alle Rundbriefe mehr schnell zugänglich hier aber noch ein Auszug aus einem Schreiben im Jahre 2018 (vermutlich Januar):

Roya Anfang 2018

(…) Roya ist jetzt sechseinhalb Jahre alt. Als sie gut anderthalb war, haben wir sie, zusammen mit ihrem Vater Hekmat, der bei uns als Wächter arbeitet, mit nach Deutschland genommen. Roya hatte eine beidseitige Hüftluxation und wurde in München erfolgreich operiert. Ohne den Eingriff hätte sie ihr Leben lang nur mit großen Mühen so etwas wie Laufen gekonnt. Hekmat und Roya leben in Qarabagh, gut 40 km nördlich von Kabul. Die Gegend ist unsicher, nicht nur wegen der Taliban. Auch Räuberbanden treiben ihr Unwesen. Wir Ausländer können derzeit nicht dorthin reisen. Roya, aber auch ihr ältester Bruder Ismail, kommen gerne zu uns nach Kabul.

In Roya wirkt der Auslandsaufenthalt deutlich nach. Sie ist sehr selbstbewusst und kämpferisch. Ein bisschen sind wir für sie so etwas wie Zweiteltern. Es fiel uns schwer, hinzunehmen, dass Roya nicht lesen und schreiben lernen soll.Wir haben das mit Hekmat besprochen. Der hat uns einen Neffen vorgestellt, der Roya gerne unterrichten würde. Es bliebe nicht bei Roya. Hekmats Großfamilie kann reichlich Kinder aufbieten, die lesen und schreiben lernen müssten. Die Nachbarn könnten weitere Klassen füllen. Der künftige Lehrer hat an einem unserer Seminare teilgenommen. Ihm fehlt noch vieles.

Er versucht einen staatlichen Lehrer nachzuahmen, wie er ihn in seiner Schule kennen gelernt hat. Daran müssen wir arbeiten, bevor wir ihn auf Kinder loslassen. Roya hat sich schon erfolgreich auf ihre Schülerinnenrolle vorbereitet. Von Anne Marie hat sie ein Heft und einen Bleistift erbettelt und malt und „schreibt“ schon fleißig.Dass wir trotz unserer Schwierigkeiten einen neuen Kriegsschauplatz eröffnen, spricht nicht für ein vernünftiges Management. Aber so ganz ist es nicht. OFARIN hat damit nicht viel zu tun. Deshalb steht dieser Bericht auch im Anhang. OFARIN stellt eine Schultafel, Kreide und Unterrichtsmaterial, schult den Lehrer und schickt alle vier Monate einen Trainer nach Qarabagh. Den Lehrer und seine Fahrten nach Kabul bezahlen Anne Marie und ich. (…)

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Ein Spendenkonto und

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https://www.ofarin.org/spenden