OFARIN: Professor Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde ist tot

Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass OFARINs Mitglied, Professor Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde, am Sonntag, dem 24. Februar, gestorben ist. Prof. Böckenförde war einer der ganz großen Staatsrechtler und Rechtshistoriker unseres Landes. Er war Richter am Bundesverfassungsgericht. Als gläubiger Katholik und Mitglied der SPD nahm er lebhaften Anteil am politischen Geschehen der Bundesrepublik.

Ja, und er war auch Gründungsmitglied von OFARIN und dem personengleichen Schwesterverein GESA, der die rechtliche Verantwortung für das Lepra- und Tuberkuloseprogramm Lepco trug. Nach der Gründung von OFARIN im Jahre 1996 war er Erster Vorsitzender.

Markus, ein Sohn von Prof. Böckenförde, leistete 1991 und 1992 den „etwas anderen Dienst“, der als Wehrersatzdienst anerkannt wurde, beim Deutschen Afghanistankomitee in Peschawar ab. Dort arbeitete auch ich. Unsere ganze Familie lebte in Peschawar. Prof. Böckenförde hielt damals einen Vortag in Islamabad und kam auch nach Peschawar. Auf dieser Reise traf er außerdem Dr. Ruth Pfau, die als Ärztin und Ordensfrau maßgeblichen Anteil an der Lepra- und Tuberkulosebekämpfung in Pakistan hatte, und auch Lepco gründete.

Prof. Böckenförde und Dr. Pfau tauschten sich ausführlich darüber aus, ob die Abtreibung verboten oder freigegeben werden soll. Zu dieser Frage musste kurz danach das Bundesverfassungsgericht Stellung nehmen. Es gab dann die Abtreibung nicht frei, stellte sie aber nicht mehr unter Strafe.

Die Beziehung zwischen Vater und Sohn Böckenförde und uns blieb auch bestehen, als wir nach Deutschland zurückgekehrt waren. Die Formulierungen der Vereinssatzungen von GESA und OFARIN gehen auf Prof. Böckenförde zurück.

Den Satzungsentwurf von GESA legte ich dem dafür zuständigen Rechtspfleger in der Nebenstelle des Würzburger Amtsgerichts vor. Dieser Mann residierte in einem Dachzimmer, das man über eine Wendeltreppe erreichte. Er und sein Umfeld waren die perfekte Karikatur altfränkischen Beamtentums. Am Satzungstext verlangte er viele Änderungen. Schließlich protestierte ich und meinte, die Satzung habe ein leibhaftiger Verfassungsrichter ausgearbeitet. Ihn interessiere nicht, was sogenannte Juristen schrieben, erwiderte der Rechtspfleger. Er hielte sich nur an die Kommentare zum Vereinsrecht. Die Gesetze selber seien unwichtig. Die Richter, mit denen er es zu tun habe, hielten sich auch nur an die Kommentare. Und mit den Richtern wolle er seinen Frieden haben.

Zur Wiedervorlage des überarbeiteten Satzungstextes reiste Prof. Böckenförde an und machte sich die Mühe – und ich glaube auch das Vergnügen – sich mit mir in die Niederungen der Rechtspflege ins Würzburger Dachzimmer zu begeben. Der Rechtspfleger begrüßte uns mit dem klaren Hinweis, dass vor ihm alle gleich seien. Dann begann er die Einwände, die er auch gegen diesen Text hatte, aufzuzählen. Prof. Böckenförde hatte mich vergattert, dem Rechtspfleger nicht zu widersprechen, sondern alles hinzunehmen, was der an Änderungen fordere. Während der Verhandlungen trat er mich mehrfach mit dem Fuß unter dem Tisch, an dem wir saßen, weil er wohl befürchtete, dass ich mich nicht an sein Gebot hielte. Wir überstanden die Prozedur. Als wir das Ende der Wendeltreppe erreicht hatten und auf der Straße standen, mussten wir eine Weile einfach nur lachen und lachen. Der Verein OFARIN wurde etwas später aber doch lieber in Freiburg, der Heimat von Prof. Böckenförde, gegründet.

Prof. Böckenförde zog sich 2006, als er 75 Jahre alt wurde, aus dem Vorstand von OFARIN zurück, beriet uns aber weiter und kam zu unseren Mitgliederversammlungen, solange es seine Kräfte erlaubten. Am Sonntag ist er im Alter von 88 Jahren gestorben.

Kabul, den 28.2.2019