Liebe Freunde,
jetzt sind wir – Anne Marie und ich – eine gute Woche wieder in Kabul. In ganz Afghanistan sind ungewöhnlich viele Niederschläge gefallen. Der Januar war kalt und schneereich. Der Salang-Pass ist schon lange gesperrt. Ein OFARIN-Team versuchte vergeblich, unser Projektgebiet in Paryan, am oberen Ende des Pandschirtales, zu erreichen. Die Straßendienste schoben fleißig Schneisen in den Schnee. Aber es gingen immer neue Lawinen ab. Unser Team gab auf.
Nachdem wir in Kabul ankamen, wurde es wärmer und regnete mit einer kurzen Unterbrechung drei Tage lang. Nach einem Sonnentag schneite es dann einen Tag lang reichlich. Jahrelang war zu wenig Schnee und Regen niedergegangen. Überall war der Wasserspiegel gesunken. In diesem Jahr gleicht sich alles wieder aus.
Den Jahresfinanzbericht für 2018 hatten wir schon für Mitte Januar angekündigt. Er brauchte aber bis jetzt, um es in unsere Homepage zu schaffen. Die Zusammenfügung des finanziellen Geschehens in Afghanistan und Deutschland war doch nicht einfach, zumal wir uns entschließen mussten, den Bericht auf die letzten zehn Monate des Jahres zu beschränken, denn die ersten beiden Monate wurden noch im Rahmen der auslaufenden Förderung durch Misereor bestritten.
Vorhin kam Abdul Hussain mit langem Gesicht zu uns. Die Hoffnung auf einen großen Geldgeber war geplatzt. Manchen von Ihnen hatten wir schon von unseren Hoffnungen erzählt. Offiziell hatten wir lieber nichts verkündet. Solange kein Vertrag vorliegt, soll man sich zurückhalten. Das bestätigte sich mal wieder.
Wir waren im Spätsommer aus dem Umfeld dieser potenten Stiftung angesprochen worden. Die Kontakte waren zäh. Verabredungen wurden immer wieder verschoben. Abdul Hussain hielt mich davon ab, aufzugeben. „Sei nicht so pessimistisch! Ich rufe da nochmal an.“ Inhaltlich waren die Gespräche aber erfreulich und gaben zu ernsten Hoffnungen Anlass. Die Gegenseite war von OFARINs Tun begeistert. Doch jetzt meldete die Stiftung, dass sie personell sehr schwach aufgestellt sei und alles auf unbestimmte Zeit verschieben müsse. Wir bestatteten unsere Hoffnungen. Wie Sie wissen, sind wir jetzt nach Afghanistan gekommen, um organisatorische Prozeduren in der Lagerverwaltung und der Statistik auszubauen und unser Unterrichtsprogramm inhaltlich erheblich zu erweitern. Wäre jetzt ein Vertrag mit dieser Stiftung zustande gekommen, hätten wir neue Lagerhalter, neue Lehrkräfte und neue Trainer einstellen müssen.
Es wäre schwierig gewesen, das Programm deutlich zu ändern und gleichzeitig fremde Mitarbeiter und Schüler zu integrieren. Jetzt können wir im vertrauten Kreis schneller mit dem Programm vorankommen.
Ein Rückschlag kann also Trost spenden, zumindest vorübergehend. Auf die Dauer kommen wir mit den Geldern, die Sie, viele andere Privatpersonen und kleinere Stiftungen uns spenden, nicht ohne weitere Einschnitte aus. Sicher, wir haben uns noch andernorts beworben und geben die Hoffnung auf einen großen Geldgeber nicht auf.
Und wir haben ein wirklich gutes Programm. Die Standards unserer Verwaltung erreicht kaum eine andere Organisation, und wir verbessern sie noch. Das gegenwärtige Programm wird von den betroffenen Menschen der Moscheegemeinden und der sonstigen Unterrichtsgebiete mit überwältigender Zustimmung angenommen. Und das jetzige Programm wird zu einem Unterrichtsprogramm ausgebaut, das den Menschen alle schulischen Voraussetzungen für nichtakademische Berufstätigkeiten bietet.
Damit werden unsere Schüler viel mehr anfangen können als mit dem bisherigen Programm. Hier entsteht eine Alternative zum katastrophalen Geschehen in den staatlichen Schulen. Je mehr Menschen OFARINs künftiges Programm angeboten werden kann, desto eher wird es dazu beitragen, dass das staatliche Schulwesen von Grund auf erneuert wird. OFARINs Programm leistet viel für Afghanistan. Es wird auch die Unterstützung institutioneller Geber finden, die es verdient.
In der ZEIT vom 29.8.2018 berichtet Wolfgang Bauer, dass die deutsche staatliche Entwicklungsagentur GIZ jährlich 430 Millionen Euro „für Afghanistan“ ausgibt. Was damit erreicht wird, weiß niemand, weil sich GIZ-Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen schon seit Jahren in Afghanistan nur in einem Hochsicherheitstrakt aufhalten dürfen. Wolfgang Bauer zeigt, dass dieses unkontrollierte Geldausgeben mit Sicherheit blutige Feindseligkeiten unter den „begünstigten“ Afghanen schafft und eine gigantische Korruption anheizt. Es ist zu ergänzen, dass die GIZ dieses Jahr aus Sicherheitsgründen keine Mitarbeiter mehr nach Afghanistan entsendet, sondern „von Dubai aus für Afghanistan“ arbeitet. OFARIN wäre glücklich, jährlich ein Promill der 430 Millionen GIZ-Euro ausgeben zu können.
In Afghanistan braucht ein Ausländer eigentlich eine Arbeitserlaubnis, um für eine Hilfsorganisation arbeiten zu dürfen. Dafür gibt es eine Altersgrenze von 65 Jahren, die wir nicht erst gestern überwunden hatten. Diese Beschränkung soll Arbeitsplätze, auf denen betagte Ausländer sitzen, für Afghanen frei machen. Um aber Programme, deren Existenz von ausländischen Schlüsselkräften abhängt, nicht zu gefährden, gilt die Altersgrenze nicht für Direktoren und deren Stellvertreter. Mit dieser Ausnahme wird gespielt. Mal übersieht man sie. Mal wird die Begrenzung auf fünf zusätzliche Jahre beschränkt.
Wann benötigt der Ausländer seine Arbeitserlaubnis? U.a. um ein Aufenthaltsvisum zu bekommen. Wir bekommen das Visum dank unseres Partnerministeriums auch ohne Arbeitserlaubnis. Doch als wir die Bank wechseln wollten, brauchte die neue Bank Arbeitserlaubnisse für unsere Zeichnungsberechtigungen. Bisher hatten wir uns geweigert, Arbeitserlaubnisse zu beantragen. Schließlich ist eine ehrenamtliche Arbeit keine Lohnarbeit. Der normale Afghane und auch viele Beamte sehen das übrigens auch so und bezeichnen es als Schande, dass man von ehrenamtlich Tätigen solch‘ eine Erlaubnis verlangt. Die Arbeitserlaubnis kostet pro Person und Jahr über 100 Euro. Aber um das Gefeilsche mit den Behörden zu beenden, willigten wir schließlich ein, Arbeitserlaubnisse zu beantragen. Doch nun stellte sich die Frage nach der Altersbeschränkung.
Arbeitserlaubnisse stellt das Ministerium für Arbeit und Soziales aus. Das Verhandeln dort übernahmen Abdul Hussain und Naqib, zumal ein Freund von Naqib zum Beraterstab des Ministers gehört. Hussain und Naqib sind geschmeidig und hielten die Gespräche mit den Beamten im freundschaftlichen Rahmen. Bald kannten sie viele wichtige Leute, auch den Abteilungsleiter, der für das Ausstellen der Arbeitserlaubnisse zuständig ist. Auch der war aufgeschlossen und meinte, wenn alles bei den höheren Stellen durch sei, erledige er das sofort. Schließlich genehmigte der Minister den Antrag. Leider wurde er am Tag darauf abgesetzt. Die Prozedur wurde wiederholt und schließlich gab auch der neue Minister seinen schriftlichen Segen.
Als Hussain und Naqib nun mit allen unterzeichneten Dokumenten zum Abteilungsleiter wollten, stießen sie auf dem Flur auf eine Putzfrau des Ministeriums. Gut, die Frau ging nicht in schäbigen, lumpigen Kleidern wie sonst die Putzkräfte in afghanischen Ämtern. Ihre Schürze konnte man als sauber bezeichnen. Aber sie führte einen Besen, eine Schaufel und einen Putzeimer mit sich und hantierte damit herum. Diese Dame fragte Hussain und Naqib, was sie im Ministerium wollten. Sie antworteten, dass sie eine Arbeitserlaubnis für die ausländischen Kollegen abholen werden. Darauf meinte die Frau, dass sie die nur bekämen, wenn sie ihr ordentlich Geld bezahlten. Unsere Beiden nahmen das noch nicht ernst und gingen ins Büro des Abteilungsleiters. Der war wie verwandelt. Er sagte, dass er keine Arbeitserlaubnis ausstellen könne, weil die Bewerber zu alt seien. Naqib zeigte dem Mann die Unterschrift des Ministers. Der Abteilungsleiter erklärte, dass auch der Minister nicht über dem Gesetz stehe. Er könne uns keine Arbeitserlaubnis geben.
Unsere Kollegen gingen zum Berater des Ministers. Ja, meinte der, diese Putzfrau sei eine furchtbare Person. Sie triebe seit etlichen Jahren ihr Unwesen und habe schon mehrere Minister kommen und gehen sehen. Sie muss schon viel Geld eingenommen haben. Sie genieße die Protektion von Dr. Abdullah Abdullah, der den Staat zusammen mit dem Präsidenten Ashraf Ghani leitet. Dr. Abdullah Abdullah habe schon mehrfach die Entlassung der Dame verhindert. Und der Abteilungsleiter habe sich unter diesen Umständen dazu entschlossen, mit der Putzfrau gemeinsame Sache zu machen. Diese Einschätzung bestätigten mehrere Mitarbeiter des Ministeriums.
Damit wir bei der Bank endlich ein Konto eröffnen können, verzichteten Anne Marie und ich auf die Zeichnungsberechtigung. Zeichnungsberechtigt werden bis auf weiteres Nassiba und Abdul Hussain sein. Dazu musste ein weiterer Brief ans Wirtschaftsministerium geschrieben werden, der voraussichtlich in der nächsten Woche beantwortet wird. Diese Antwort können die beiden dann bei der Bank vorlegen und wir werden ein Konto bekommen. Wenn wir später einmal viel Zeit haben, werden wir einen weiteren Vorstoß beim Arbeits- und Sozialministerium unternehmen.
Die Zustände im Arbeits- und Sozialministerium kann man nicht auf alle afghanischen Ämter übertragen. Das Finanzministerium arbeitet z.B. wesentlich professioneller als in früheren Zeiten. Selbst im Arbeits- und Sozialministerium stößt man auf viele Beamte, die gerne ihre Arbeit korrekt und effizient erledigen würden. Aber gegen eine Putzfrau mit Protektion von ganz oben sind sie hilflos.
Übrigens schneit es wieder.