Meine Frau Anne Marie und ich sind seit Anfang Dezember wieder in Deutschland. In Kabul erledigen die Mitarbeiter ihre Aufgaben. Das läuft großartig. Sehr einsetzen mussten sich Zaker Akbari und Sultan, unsere Finanzexperten.
Die waren schon den ganzen Herbst damit beschäftigt, OFARINs Steuerschulden aufzuarbeiten. OFARIN selber zahlt keine Steuern, muss aber die Einkommenssteuern der Mitarbeiter, die Steuern, die beim Hauswirt durch die Vermietung des Büros an uns fällig werden, und die Umsatzsteuern die Verkäufer von Waren und Dienstleistungen an den Staat zahlen müssten, an das Finanzministerium abführen. Das war über zehn Jahre lang nicht geschehen. Die Steuern sind in Afghanistan bescheiden, aber die Säumnisschulden sind sehr hoch.
Da erließ die Regierung in diesem Sommer eine befristete Amnestie. Innerhalb der Frist musste man nur die um 5 % erhöhten Steuerschulden erstatten. Seit August saßen Zaker und Sultan auf dem Boden ihres Büros inmitten von 17 Ordnern und stellten die Ausgaben der letzten zwölf Jahre zusammen. Im Oktober saßen sie immer noch da. Dann kamen die Ordner in meinen großen Rollkoffer und wurden zum Finanzministerium gerollt. Dort halfen Zaker und Sultan tagelang den Beamten beim Durchsehen der Belege. Eine mäßige Anzahlung hatten wir schon geleistet.
Kurz vor dem Ende der Amnestiefrist traten vier Mann von uns in der Nationalbank an und legten dort nur noch Bescheinigungen vor, allerdings sehr viele. Das Gedränge muss erheblich gewesen sein. Sehr viele Steuerschuldner erschienen mit Trägern, die Säcke voll Geld in die Bank trugen. Die Erstattungen musste in Afghani erfolgen. Seitdem wir dieses rettende Ufer erreicht hatten, verbringen Zaker und Sultan in jeder Woche mehrere Tage im Finanzministerium und überprüfen mit den Beamten jeden Beleg noch einmal. Natürlich waren Fehler passiert. Aber die Gesamtrechnung blieb im Lot. Weitere Zahlungen sind nicht nötig. Ende dieses Monats wird alles geschafft sein.
In diese Dauerbeanspruchung unserer Finanzverwalter platzte – endlich – Thomas B. hinein. Thomas ist ein Buchhalter mit Leib und Seele, der schon die Deutsche Welthungerhilfe und die Deutsche Caritas in Kabul betreut hat. Jetzt kümmert er sich in Kabul um die Buchhaltung der Organisation Ipso. Bei solchen Aufenthalten wohnte er schon immer bei OFARIN. Diesmal kniete er sich auch bei OFARIN in die Finanzen. Eigentlich sollte er im September kommen. Das klappte nicht. Im Oktober stellte Afghanistan keine Visa aus, weil Parlamentswahlen stattfanden. Aber kurz vor Ende November klappte es dann doch noch. Nachdem sich einige Unstimmigkeiten geklärt hatten, konnte Thomas in Kabul das nötige Programm für die Erstellung des Finanzberichtes von Januar bis November 2018 einsammeln. Inzwischen hat er aus diesen Daten und aus den Einnahmen und Ausgaben in Deutschland den Finanzbericht zusammengestellt. Hier sind wir uns noch nicht über alle Fragen der Darstellung einig, so dass wir den Finanzbericht von Januar bis November noch nicht in unsere Homepage stellen, sondern erst den Jahresfinanzbericht von Januar bis Dezember 2018. Der wird bis 15. Januar fertig sein. Thomas‘ Beschreibung, wie der Finanzbericht erstellt wird, finden Sie in den nächsten Tagen in unserer Homepage unter OFARIN e.V..
Zur Weiterentwicklung unserer Unterrichtsinhalte
Weshalb sind wir in Afghanistan? Nicht nur wegen der Finanzverwaltung. Eigentlich geht es uns um elementaren Schulunterricht. Der läuft in Afghanistan gut. Die Betroffenen, die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte, die Mullahs – alle stehen hinter diesem Unterricht. Schon die Zusammenarbeit mit OFARIN begeistert die Menschen, wohl wegen der Art und Weise, wie sie geschieht. Dennoch darf man fragen, was einem Schüler das, was er bei OFARIN lernt, bringt. Sicher die Grundalphabetisierung im ersten Jahr, kann nicht falsch sein. In der Mathematik lernt man auch einiges, und es gibt viele Anwendungen. Aber für eine Berufstätigkeit, sollte man 0,35 m abmessen können und wissen, was 15 % von 400 sind. Auch wird bisher im Unterricht bei OFARIN kein Bericht oder Brief geschrieben. Kurz: Es ist nötig und auch möglich, unserem bisherigen Unterricht einige Stoffgebiete hinzu zu fügen. Dann erhalten die Schüler, die an diesem erweiterten Programm teilnehmen, gute schulische Voraussetzungen für jeden nichtakademischen Beruf. Es bleibt zu hoffen, dass viele Schüler nicht außerdem in die staatliche Schule gehen, wenn sie unser Programm durchlaufen.
Das, was wir vorhaben, haben wir etwas ausführlicher beschrieben:
Hier soll zunächst das jetzige und im Anschluss das zukünftige Unterrichtskonzept von OFARIN vorgestellt werden. Es wird davon ausgegangen, dassnSie mit dem bisherigen Konzept vertraut sind. Dieses soll trotzdem kurz wiederholt werden, wird aber kursiv gedruckt, damit Sie es überschlagen können.
OFARINs Programm gibt es seit der Talibanzeit 1998. Es findet derzeit in mehreren Kabuler Stadtteilen sowie in den Provinzen Logar und Pandschir statt und wird von 4.000 Schülern besucht. Unterrichtet wird in Moscheen und in Privatwohnungen (dort meist in Räumen, die die Familien der Lehrkräfte zur Verfügung stellen). OFARIN zahlt keine Miete. Der Unterricht findet an allen sechs Wochentagen statt und dauert täglich nur 90 Minuten. 30 dieser 90 Minuten entfallen auf den Religionsunterricht, den die Imame der Moscheen und das Ministerium für Religiöse Angelegenheiten verantworten. Dieses Ministerium ist OFARINs Partnerministerium. OFARIN erstellt das Unterrichtsmaterial und passt es den Erfordernissen an.
OFARINs Unterricht lehnte sich zunächst an das Curriculum der staatlichen Schulen an. Dieses schreibt vor, dass ab Klasse vier Englisch und die zweite Landessprache als Fremdsprache unterrichtet werden. Die staatlichen Schulen scheitern an dieser Aufgabe. OFARIN beschränkte sich auf Elementarunterricht ohne Fremdsprachen.
OFARIN lehnte sich zunächst an das staatliche Curriculum an, um Zusammenarbeit mit staatlichen Schulen und anderen Anbietern von Unterricht zu ermöglichen und den Übergang der OFARIN-Schüler in staatliche Schulen zu erleichtern. Der Übergang von Schülern ist kein Problem, zumal die Mehrheit der OFARIN-Schüler auch die staatliche Schule besucht. Zusammenarbeit mit anderen Unterrichtsprogrammen kam nicht zu Stande. Dazu trug OFARIN mit Maßnahmen bei, die den eigenen Unterricht entscheidend verbesserten, aber kaum überbrückbare Unterschiede zu Programmen des Staates und anderer Organisationen schufen:
OFARINs Anfängern wird im ersten Schuljahr nur das Schreiben und Lesen der Muttersprache beigebracht (Grundalphabetisierung). Erst danach beginnt weiterführender Unterricht in der Muttersprache sowie in Mathematik. Da die Schüler lesen können, kann weiterführender Unterricht auf schriftliches Material gestützt werden, was die Lehrkräfte entlastet.
OFARINs Unterricht wird von „Trainern“ betreut. Diese fest angestellten Mitarbeiter besuchen den Unterricht der einzelnen Klassen fleißig und berichten in OFARINs Zentrale darüber. Trainer beteiligen sich auch an der Ausarbeitung von Unterrichtsmaterial und bereiten Lehrer, die ein neues Stoffgebiet unterrichten sollen, in „Seminaren“ darauf vor.
Inhaltlich werden nach der Grundalphabetisierung im Muttersprachenunterricht andere Schriften, etwas Grammatik und die alphabetische Ordnung durchgenommen. In Mathematik wird Geometrie in der Ebene betrieben. Innerhalb der natürlichen Zahlen (mit 0) werden die Grundrechenarten gelehrt – bis zum Einmaleins (mündlich) und der Division großer Zahlen mit Rest (schriftlich).
Dieses Programm ist sehr erfolgreich und bei Lehrern, Eltern, Schülern und Mullahs beliebt. Es hat auf die betroffenen Gemeinschaften eine sehr positive Ausstrahlung, die weit über die Freude an schulischem Wissen und Können hinausgeht. Die Beteiligten stehen entschlossen zu ihrem Programm. Lehrkräfte, die wir nicht bezahlen konnten, arbeiteten ohne Bezahlung weiter. Moscheegemeinden lehnten zunächst den Unterricht von Lehrerinnen strikt ab. Ein Jahr später baten sie darum, dass wir auch Frauen und junge Mädchen unterrichten ließen. Wann immer OFARIN Ärger mit Behörden hat, stehen die Mullahs „unserer“ Moscheen hinter uns, setzen ihre Beziehungen ein und intervenieren bei den betreffenden Stellen.
OFARINs Programm ist ein Kontrastprogramm zu dem, was die Menschen mit staatlichen Behörden erleben. Bei OFARIN arbeiten alle zusammen, damit der Unterricht erfolgreich wird. Es klappt vielleicht nicht alles, aber doch viel mehr als in afghanischen Behörden, Kasernen, Krankenhäusern und Schulen. Hefte und Bücher werden geliefert, wenn man sie braucht. Im Unterricht geht es freundlich zu, denn Schüler lernen am besten, wenn sie keine Angst haben müssen. Lehrer und Trainer kümmern sich um jeden Schüler, denn wenn Schüler im Unterricht nicht mitkommen, gerät der Leistungsstand der Klasse aus der Balance. Die Menschen erleben bei OFARIN eine tolerante, konstruktive Zusammenarbeit, die sie sich für ihr ganzes Land wünschen. Kurz: Für die, die uns kennen, ist OFARIN ein Hoffnungsträger.
Das staatliche Schulwesen ist unglaublich schlecht. [Siehe: www.ofarin.de / Projekte / Die öffentlichen Schulen in Afghanistan !] Durch Reformen ist es nicht zu sanieren. Alleine die Tatsache, dass es von den meisten Schülern zwölf Jahre lang besucht wird, ist vollkommen unangemessen und kostenträchtig. Absolventen der zwölften Klasse sind Analphabeten, sofern sie nicht im Elternhaus oder durch Privatunterricht zusätzlich gefördert werden.
Was bietet OFARINs jetziges Programm seinen Schülern? Die Grundalphabetisierung ist für jeden ein Gewinn. Dafür kommen auch ältere Schüler zu uns, die merken, dass sie in den öffentlichen Schulen nichts lernen. Konservative Familien, die fürchten, dass es Sünde sei, wenn ihre Töchter in öffentliche Schulen gehen, schicken die Mädchen zu OFARIN in die Moschee. Der Mathematikunterricht ist interessant. Er enthält viele Anwendungen. Aber im täglichen Leben braucht man auch Brüche und Dezimalzahlen, die man bei OFARIN bisher nicht kennen lernt. Im Muttersprachenunterricht wird das Schreiben von Briefen oder Berichten bis jetzt nicht geübt. OFARINs derzeitiger Unterricht bietet den Menschen durchaus einiges. Aber eine schulische Grundlage für jede nichtakademische berufliche Tätigkeit ist er noch nicht.
Doch das derzeitige Programm kann und soll zu einer solchen Grundlage erweitert werden. Dazu müssen in Mathematik auch negative Zahlen, Brüche und Dezimalzahlen gelehrt werden sowie die Dreisatzrechnung und die Prozentrechnung.
Im Muttersprachenunterricht muss das Schreiben von Berichten, Briefen und Aufsätzen geübt und Grammatik gelehrt werden. Das würde auch das Erlernen von Fremdsprachen erleichtern. Fremdsprachenunterricht soll aber vorerst nicht in OFARINs neuen Unterrichtskanon aufgenommen werden.
Ein solches Programm sollte – bei weiterhin nur einer Stunde Unterricht am Tag (und zusätzlich 30 Minuten Religionsunterricht) – in sechs Jahren zu schaffen sein.
Um die neuen Programmteile zu entwickeln, müssen wir vier oder fünf weitere Ganztagskräfte beschäftigen, die Konzepte, Unterrichtsmaterial und Lehrervorbereitungsseminare erstellen. Um dann den „neuen“ Unterricht durchzuführen, sind weitere Mittel nötig. Steht nur wenig Geld zur Verfügung, muss der erweiterte Unterricht wenigstens in einigen Standorten durchgeführt werden, um Erfahrungen mit den neuen Inhalten zu sammeln.
Wir hoffen aber, dass wir ausreichend Mittel haben werden, um den Unterricht möglichst vielen Schülern zugänglich zu machen. Dabei muss zunächst ein geeignetes Verhältnis zwischen der geografischen Erschließung anderer Gegenden, in denen wir derzeit nicht aktiv sind, und inhaltlich-stofflicher Ausdehnung in die neuen Unterrichtsgebiete gefunden werden.
Was ändert sich für OFARINs Schülerinnen und Schüler? Diese können das gleiche lernen, wie bisher. Wenn sie wollen, können sie aber auch mehr lernen und zwar so viel, dass sie für eine nichtakademische Berufstätigkeit sehr gut gerüstet sind. Auch wenn OFARIN weiterhin mit bescheidenen Mitteln zurechtkommen muss, bietet das neue Programm seinen Schülern damit mehr an als bisher. Ein Schüler der sich dazu entschließt, das ganze OFARIN-Programm durchzumachen, muss nicht außerdem in die staatliche Schule gehen.
Diese Einsicht wird sich umso schneller verbreiten, je mehr Mittel OFARIN zur Verfügung stehen und je größer das Programm wird. Je bekannter OFARINs Programm ist, desto auffälliger wird, wie jämmerlich die Leistungen der staatlichen Schulen sind. Von einer gewissen Größe an wird OFARINs Programm das staatliche Schulprogramm zurückdrängen. Im Grunde ist das ein wünschenswerter Prozess. Dennoch wird Diplomatie nötig sein, damit der Wettbewerb nicht in einen Kampf ausartet. OFARIN muss offen für eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Erziehungsministerium sein und dem Staat helfen, sein derzeitiges verschwenderisches, vollkommen ineffizientes Schulsystem zu ersetzen.
Soweit die vorgesehene Erweiterung unseres Unterrichtsangebotes! Wie schnell wir damit vorankommen, wird auch von den Mitteln abhängen, die uns zur Verfügung stehen. OFARIN hat, als das Programm 2016 verkleinert werden musste, möglichst wenige Klassen geschlossen, so dass relativ viel Personal im laufenden Unterrichtsbetrieb gebunden ist, und kaum jemand da ist, der an der Entwicklung neuer Unterrichtsinhalte mitwirken kann. Vergessen Sie uns nicht ganz! Ich wünsche Ihnen ein Frohes Fest und alles Gute für das Neue Jahr.
Herzliche Grüße, Peter Schwittek.
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