Internes zu OFARIN und: Was wird aus Afghanistan?

Liebe Freunde,

wieder einmal muss ich Sie mit OFARINs wirtschaftlicher Lage nerven. Die ist wirklich nicht gut. Wir haben den finanziellen Jahresbericht für 2019 in die Homepage gesetzt. Dort können Sie sehen, dass wir im Jahr 280.000 € benötigen, um den jetzigen Betrieb aufrecht zu halten. Das ist ein Notbetrieb. Alle unsere afghanischen festangestellten Mitarbeiter erhalten weniger als 400 €, unsere Lehrkräfte 23 € im Monat (die Lehrer für 90 Minuten Unterricht werktäglich). Sie können der Abrechnung auch entnehmen, dass wir zum Jahresende noch gut 55.000 € hatten. Wir leben von der Hand in den Mund.

Dass ich diese traurige Melodie im letzten Monat nicht angestimmt hatte, lag daran, dass ich ein Traumtänzer bin. Die Einnahmen im letzten Quartal 2019 waren besser ausgefallen als vorher. Sie reichten noch nicht an den Bedarf von 70.000 € für drei Monate heran. Aber ich hoffte, wir seien auf dem richtigen Weg. Ein Teil von Ihnen hatte offenbar meine Bitte erhört und bei weiteren Mitbürgern das Interesse an unserer Arbeit geweckt. Aber im Wesentlichen waren die besseren Ergebnisse im letzten Quartal 2019 wohl dem Weihnachtsfest und den Jahresabschlüssen von Spendern zu danken. Jedenfalls ist das Spendenaufkommen dieses Jahr wieder erheblich zurückgegangen.

Unser Programm ist in dieser Qualität nicht preiswerter zu haben. Abstriche bei der Qualität nehmen unserer Arbeit den Sinn. Eine weitere Reduktion der Quantität wäre sehr schmerzhaft.

Mehr Geld werden wir immer benötigen. Wir wollen unser Programm eines Tages ausdehnen – geografisch und auch stofflich. Je mehr Schüler in unseren Unterricht kommen, desto besser. Das würde auch die Regierung zwingen, nach neuen Wegen für ihre katastrophalen Schulen zu suchen. Auch wenn das einmal so weit sein sollte, wird noch mehr Geld ein Vorteil sein. Aber ich werde dann nicht mehr betteln – nicht so jämmerlich jedenfalls. Doch jetzt geht es ans Eingemachte.

 

Das Instagram-Programm

Was machen wir in dieser Not? Unser Instagram-Programm muss wieder anlaufen. Wir wollten auf Instagram jede Woche etwa zwei Bilder mit kurzen Texten posten. Die Bilder sollen aus unserem Unterricht sein und sie sollen afghanische Landschaften und Szenen aus dem Leben zeigen. Die Menschen sollen sehen, wie schön Afghanistan ist. In den kurzen Texten wird es um den Unterricht gehen: Warum unterrichtet OFARIN ausgerechnet in Moscheen? Wie verhindert Ihr, dass Hefte oder Bleistifte gestohlen werden? Wie entscheidet OFARIN über „Versetzung und Sitzenbleiben“? Solche Fragen wollen wir beantworten, auch wenn wir nicht gefragt werden. Schöner wäre es natürlich, wenn die Instagram-Nutzer Fragen stellen.

Helen, unsere Computerfee, hatte im Herbst die ersten drei Bilder dieses Instagram-Programms geschaltet. Das zweite war sogar der Filmbeitrag im ZdF-Heute-Journal vom Besuch in der Moschee von Kalatschah. Da hatte Herr Kleber, der den Beitrag anmoderierte, darauf hingewiesen, dass das ZdF-Team eins der ganz wenigen erfolgreichen Projekte in Afghanistan gefunden habe, nämlich unseres.

Dann wurde Helen krank. In unserem Alter benutzt kaum jemand das „soziale Netzwerk“ Instagram. Auch unter den Jüngeren gibt es viele, die über Instagram oder Facebook die Nase rümpfen. Wir konnten kaum Bekannte erreichen, die Instagram „können“. Es wurde dennoch ein „Tablet“ erworben und herumgefragt. Mit noch sehr lückenhaftem Können haben wir inzwischen zwei Bilder verschickt. Das Programm läuft unter ofarin.ev.

 

Corona ist da.

In Afghanistan sind wir auf der Höhe der Zeit. Das Corona-Virus, bzw. die Bugwelle der medialen Berichterstattung darüber, hat Kabul erreicht. Viele Schüler kommen nicht zum Unterricht. Wir haben für zwei Wochen Ferien gegeben. Ein Iraner hat in Herat Menschen angesteckt und die Regierung versucht, die Stadt abzuschotten, wie es die Italiener in manchen Gegenden tun.

Weitere Verunsicherung der Bevölkerung geht von der politischen Lage aus. Der offizielle Ausgang der Präsidentschaftswahlen hat wenige Menschen überzeugt und wird von verschiedenen Seiten angezweifelt und angefochten. Man weiß nicht, was kommt. Das gilt insbesondere auch für die Beamten, die ihre Arbeitskraft nur noch sehr vorsichtig dosiert einsetzen.

Das ist auch für uns lästig, denn bisher haben wir keine Code-Nummer für unsere Einreise. Das Procedere ist wie folgt: Unsere Kollegen beantragen Visa für uns bei unserem Partnerministerium. Dem Gesuch müssen mehrere andere Ministerien zustimmen. Dann kann das Außenministerium dem von uns ausgesuchten Konsulat – das ist in der Botschaft in Berlin; weitere Konsulate gibt es in Bonn und München – eine Codenummer schicken. Diese teilt es auch OFARINs Kabuler Büro mit. Dann können wir die Visa nach einer angemessenen Bearbeitungszeit abholen. Wir hoffen, dass das für uns Freunde erledigen dürfen. Aber bisher warten wir noch auf die Code-Nummer aus Kabul. Unter den gegebenen Umständen sind wir skeptisch.

 

Bald Frieden in Afghanistan?

Über allem schweben die Unwägbarkeiten, die der größte Twitterer aller Zeiten Afghanistan beschert. Im Moment beweisen die Taliban dadurch, dass sie sich eine Woche lang ruhig verhalten, dass sie für einen Friedensschluss mit den USA geeignet sind. Danach soll über einen Truppenabzug der Amerikaner verhandelt werden. Die Gegenleistung soll sein, dass die Taliban dafür sorgen, dass von Afghanistan keine terroristischen Angriffe mehr ausgehen. Die Details sind Gegenstand der Verhandlungen.

Die Taliban sind begierig, denn sie hoffen die Macht zu übernehmen. Auf Seiten der USA sind die Absichten nicht eindeutig. Manchmal wird von einem vollständigen Abzug gesprochen. Manchmal werden Zahlen angegeben, die auf einen Verbleib eines größeren Kontingents schließen lassen. Hier scheinen sich die Absichten des Präsidenten und seiner Beamten und Militärs nicht zu vertragen. Trump scheint tatsächlich auf einen baldigen, vollständigen Abzug der US-Truppen zu drängen, während die Verwaltung den gegenwärtigen Status erhalten will.

Wenn Trump sich durchsetzt, erfüllt er ein Wahlkampfversprechen. Die Gegenforderung an die Taliban, dass von Afghanistan kein Terrorismus ausgehen darf, ist eine Leerformel, die unbedarfte Landsleute besänftigen soll. Die Forderung bezieht sich auf die Angriffe vom 11. September 2001. So etwas soll nicht noch einmal passieren. Aber Afghanistan ist für solche Anschläge wirklich nicht nötig.

Die USA haben mit Afghanistan einen Stationierungsvertrag abgeschlossen, der vor allem gegen den Iran und China gerichtet ist. Man kann sich kaum vorstellen, dass die USA diese Position aus den Händen geben wollen. Doch das ließe sich vermutlich dadurch lösen, dass man für die Luftwaffenbasen in Schindand im Westen und Bagram im Osten einen Status wie für Guantanamo in Kuba vereinbart.

Es ist vorgesehen, dass die Taliban mit der Kabuler Regierung verhandeln. Doch wenn diese Regierung nicht durch amerikanisches und internationales Militär unterstützt wird, wird sie sich kaum behaupten können. Pakistan fürchtet, dass sich Afghanistan mit dem Erbfeind Indien verbünden könnte, was für Pakistan sehr gefährlich wäre. Und Afghanistan erhebt Gebietsansprüche gegenüber Pakistan. Daher hält es Pakistan für dringend erforderlich, dass Afghanistan schwach und unterentwickelt bleibt. Noch besser wäre es, wenn die Regierung in Kabul sogar von Pakistan abhängig wäre. Für Pakistan war es bisher leicht, die Reibereien zwischen den einzelnen Ethnien, Stämmen und Sippen in Afghanistan dazu zu nutzen, dort einen ständigen Kleinkrieg anzuheizen und gegen die afghanische Regierung und die ausländischen Truppen zu wenden. Geld hat das pakistanische Militär dank reichlicher Zuwendungen der USA genug. Bei einem Rückzug der USA aus Afghanistan käme Pakistan seinem Traumziel näher, eine abhängige Regierung in Kabul einzusetzen.

Die Folgen für die Bevölkerung wären verheerend. Eine pakistan-hörige Taliban-Bewegung hatte den größten Teil Afghanistans bereits von 1996 bis 2001 beherrscht. Nicht nur die Lage der Frauen war furchtbar. Wirtschaft und Bildung fanden nicht statt. Pakistan möchte diese Zustände wieder herstellen. Millionen von Menschen werden dann aus dem Land fliehen.

Auch ist in diesem Fall mit erheblichem Widerstand der nicht-paschtunischen Völker Afghanistans zu rechnen. Nachbarländer Afghanistans wie China oder der Iran, aber auch Usbekistan, werden sich kaum damit abfinden, dass Afghanistan von einem islamistischen Regime beherrscht wird, von dem eine erhebliche terroristische Bedrohung für sie selbst ausgeht. Solange die USA in Afghanistan mit Militär präsent sind, werden sich Afghanistans Nachbarn zurückhalten. Sind aber die Amerikaner nicht mehr da, werden sich diese Länder genötigt sehen, sich nach dem jetzigen Vorbild Pakistans in Afghanistan zu „engagieren“.

 

Herzliche Grüße Peter Schwittek.