– Leitartikel von Gudrun Büscher zur Beerdigung Nawalnys –
Schon am frühen Morgen bezog die russische Staatsgewalt Stellung: Dutzende Einsatzfahrzeuge und Uniformierte säumten den Weg zur Kirche zu Ehren der Gottesmutterikone „Lindere meine Trauer“. Überall hingen Überwachungskameras, im Eingangsbereich des Gotteshauses standen Absperrgitter.
Die russische Regierung fürchtete die Trauer um einen Mann, dessen Namen Präsident Putin öffentlich nicht ausspricht: Alexej Nawalny.Nawalnys Mutter, Ljudmila Nawalnaja, sollte eine geheime Bestattung ihres Sohnes akzeptieren. Sie hat dem Druck nicht nachgegeben.
Die komplette Opposition ist im Exil, in Haft oder tot. Putin duldet keine Gegner. Er will in zwei Wochen seine Wiederwahl für weitere sechs Jahre inszenieren und räumt alles, was stören könnte, aus dem Weg. Deshalb ist auch nicht zu erwarten, dass aus den vielen mutigen Trauernden jetzt eine neue Oppositionsbewegung erwächst. Aber Nawalnys Beisetzung ist eine Form der Selbstvergewisserung der Putin-Gegner: Ich stehe nicht allein. Es gibt viele, die denken und fühlen wie ich: „Du hattest keine Angst. Und wir haben keine Angst“, riefen einige.
Doch die meisten Russinnen und Russen kümmern sich nicht um Politik, sie versuchen, den Alltag zu meistern – was oft schwer genug ist. Vor ihnen, und sie sind die schweigende Mehrheit, wird sich Putin in absehbarer Zeit nicht fürchten müssen.