Verschläft Deutschland seine Zukunft?

Zunächst einige Zahlen zur Dynamik einiger Staaten und Wirtschaftsräume auf dieser Welt:

Die Weltbevölkerung betrug Ende 2018 7,67 Milliarden Menschen.

Davon waren 2017 weltweit 41,6% unter 25 Jahre alt. In der Europäischen Union waren es 26,2% und in Deutschland 22,8%.

Das Bevölkerungswachstum betrug im gleichen Jahr weltweit 1,06% pro Jahr, in in der EU 0,21% und in Deutschland minus (-) 0,17%.

In anderen Ländern sieht es ganz anders aus: In 47, meist afrikanischen, Staaten liegt das Bevölkerungswachstum bei 2 oder mehr Prozent. (Um eine Vorstellung zu bekommen: Bei konstant 2% über alle Jahre würde sich eine Bevölkerung innerhalb von 35 Jahren verdoppeln.)1

Wir sehen die Bevölkerung in Europa wächst deutlich langsamer als die in anderen Gegenden dieser Welt. In Deutschland schrumpft sie und der Anteil junger Menschen ist in unserer Gesellschaft eher gering – zu gering!

Schauen wir uns für verschiedene Gegenden dieser Welt den Indikator für die wirtschaftliche Leistung einer Gesellschaft, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) an:

2017 betrug es weltweit über 80 Billionen USD.

Anteil am Welt-BIP (in Prozent)

1970

1980

1990

2000

2010

2017

China

1

1,2

2,2

4,5

9,2

12,7

USA

25,2

23,4

23,8

25,4

22,8

21,8

28 EU-Staaten

35,2

33,2

30,8

29,5

25,7

23,5

Im Jahre 1970 betrug die wirtschaftliche Leistung der USA zusammen mit der Europas noch etwas mehr als 60% des weltweiten BIP. Heute (2017) sind es noch gut 45% .

„Bezogen auf die absoluten Werte hat sich das BIP der EU zwischen 1970 und 2017 knapp verdreifacht und das BIP der USA etwa verdreieinhalbfacht. Das BIP Chinas war 2017 – ausgehend von einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau – gut 54-mal höher als 1970.“ 2

 

Interpretation

Diese Zahlen untermauern nur, was wir tagtäglich und besonders seit den vergangenen zwei Jahren beobachten: Die Ordnung der Welt ändert sich. Präsident Trump scheint alles zu tun, dies noch zu beschleunigen. Dabei geht es ihm offensichtlich vor allem darum kurzfristige „Wahlversprechen“ zu erfüllen. Die mittel- und langfristige Wirkung seiner Politik scheint ihn nicht zu interessieren.

Was Europa angeht, hat er zunächst an der Stabilität der NATO gezündelt und damit begonnen, das zu zerlegen, was man den „Westen“ nennt. Auch seine Handelspolitik trägt dazu bei, dass wir Europäer, insbesondere auch wir Deutschen, nicht mehr wissen in wie weit wir uns auf die USA noch werden verlassen können. – Internationale Verträge, die man mit den USA abschließt, das zeigt sich z.B. am Pariser Klimaabkommen und besonders am Atomabkommen mit dem Iran, scheinen nicht mehr viel wert zu sein. Nicht nur dadurch geben die Vereinigten Staaten von Amerika ihre gewohnte Rolle als Ordnungs- und Führungsmacht auf. Auch reale außenpolitische Erfolge hat die America-first-Politik bisher nicht gezeitigt; es entsteht ein Vakuum. Wer wird es besetzen?

Russland scheidet mit seiner schwachen Wirtschaftskraft und stets vorgestrigen Militärpolitik fast ganz aus. China ist da viel geschickter: Mit seinem Projekt „Neue Seidenstraße“ unterstützt es bereits jetzt ärmere Staaten und fasst bis hinein in die Europäische Union (Hafen von Piräus) durch staatlich kontrollierte Wirtschaftsmacht Fuß. – Auch wenn Trump heute noch Firmen wie Huawei in den USA und anderswo verbieten kann, wird das für China nur zum Ansporn sein eigene Betriebssysteme zu entwickeln und den technologischen Spitzenmarkt auf anderem Wege zu beherrschen…

– Es scheint manchmal, als trete Amerika freiwillig von der Bühne ab, und bereite den Boden für eine Führungsmacht China vor….

Etwas habe ich bei all dem fast vergessen: Deutschland und Europa.

Deutschland können wir in diesem Zusammenhang ruhig beiseite lassen, denn zu glauben, es könne in dem beschriebenen Kräftefeld überhaupt noch etwas bewirken, wäre naiv. – Schade eigentlich, denn Deutschland übt auf viele Menschen dieser Welt eine hohe Anziehungskraft aus, was wir aber nicht sinnvoll nutzen. Noch hat Deutschland auch noch gut ausgebildete Spitzen-Fachkräfte, deren Beste allerdings auch gern in die USA oder China abgeworben werden. Und nicht zuletzt leben die Deutschen durchschnittlich noch in akzeptablem Wohlstand, was wegen der vergleichsweise wenig vorwärts gerichteten Politik hauptsächlich durch Überalterung nicht mehr lange so anhalten wird. Das Wertvollste, was uns mittelfristig noch bleiben wird, sind Rechtsstaat und Grundrechte…

Ja und Europa? – Das leidet – wenn auch nicht überall – unter ähnlichen Problemen. Sein Vorteil könnte ein einsamer Rufer in der Wüste sein, der erkannt hat, dass Europa schleunigst vorwärts gehen müsste: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er wird aber mit aller Deutlichkeit überhört – insbesondere von der Deutschen Regierung, deren Aufgabe es wäre, zusammen mit Frankreich in Europa voran zu gehen und eine gemeinsame Politik in größerer Geschwindigkeit zu betreiben.

Woher kommt diese Ignoranz? – In meinen Augen ist es Angst, Angst etwas zu verlieren: Sei es Wohlstand (der ohnehin nicht zu konservieren ist, wie man schon jetzt sieht); sei es Souveränität. – Nagut: Alleine, bedeutungs- und wehrlos, dürften wir wenigstens noch von Souveränität träumen, denn die Gedanken sind ja bekanntlich frei…

Weite Teile der Europäischen Bevölkerung stehen im Bann „populistischer“ Rattenfänger, die ein Leben in Überschaubarkeit predigen und von eigener nationaler Bedeutung träumen. – Aber all dies ist nicht wie im 19. und 20. Jahrhundert vorwärts, sondern vor allem rückwärts auf „Tradition“ gerichtet und ohne Konzept.

Um keine Missverständnisse zu erzeugen: Der ‚vorwärts‘ gerichtete Nationalismus hat Europa zwei Weltkriege mit beispiellosen Morden und unendlich vielen toten Menschen beschert. Der heute propagierte Nationalismus spricht vom Bewahren und der Abschottung. Sollte Europa von den „Populisten“ zerlegt werden, wird es allein wegen des damit verbundenen materiellen Niedergangs mit dem Frieden in der Mitte Europas bald vorbei sein…

Ähnlich kontraproduktiv, was Deutschlands Wohlergehen angeht, wenn auch abgestuft, ist übrigens auch der Konservatismus, der sich über die Jahre schleichend in unserer Regierung breit gemacht hat – bis hin zur Bundeskanzlerin. Ich wiederhole mich: Konservieren, bewahren, ist zur Zeit, da alle satt scheinen, zwar populär, aber eben auch rückwärts gewandt und überaus unverantwortlich… – u.a. auch, was die Bekämpfung des Klimawandels angeht!

Wie sieht die Alternative aus? – Ob es uns nun gefällt oder nicht: Wir brauchen ein europäisches Parlament, das eine Europäische Regierung, die vom Parlament eingesetzt wird, kontrolliert. Diesem Parlament, das alle Bürger der EU repräsentiert, haben sich alle Staaten Europas in Sachen Außen- und Verteidigungspolitik, Wirtschaft/Finanzen, Grundzügen der Sozial- und Rechtspolitik zu unterwerfen. Die Gewaltenteilung hat sauber zu erfolgen. Unabhängige Gerichte bilden die dritte Gewalt. Allerdings: Was Länder selbst regeln können, sollen nach wie vor die einzelnen Länder regeln. Unnötige Bürokratie ist abzuschaffen. Unterschiedliche Traditionen sind zu pflegen… – Und wenn die Unsitte unter vielen Politikern aufhört, eigenes Versagen stets auf Europa zu schieben, wird sich in der Bevölkerung ein Lebensgefühl manifestieren, dass sich von unserem jetzigen kaum unterscheidet. In manchen Mitgliedsstaaten wird man allerdings freier atmen können…

Nur auf diese Weise wird auch Deutschland, neben seinen Nachbarstaaten auch in 20 Jahren noch eine Rolle in der Welt spielen können. Auf jede andere Weise wird auch Deutschland mit sehr überalterter Bevölkerung der Bedeutungslosigkeit und Armut entgegen schleichen.

Natürlich lässt sich eine solche Organisation Europas nicht sofort herstellen. Die notwendige Einstimmigkeit wäre unter den noch 28 Mitgliedstaaten nicht gegeben.

Dazu gibt es nur einen Ausweg: Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten mit einem deutsch-französischen Kern. Noch ist das Zeitfenster dazu in Frankreich offen. Aber Deutschland scheint seine letzte Chance zu verschlafen. – Ob die Wahl am Sonntag daran noch etwas ändern kann?

 

Quellenangaben:

1) https://www.laenderdaten.de/bevoelkerung/altersstruktur.aspx (21.5.2019)

2) United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD). Die Zahlen und das Zitat sind entnommen aus: https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/135823/bruttoinlandsprodukt-bip am 23.5.2019