Weiterer Bericht aus Afghanistan

Im Rundbrief, den ich am Anfang September geschrieben und etwas später versendet hatte, wurde mir über ein Seminar berichtet, das den Unterricht verbessert habe. Inzwischen habe ich Jungenklassen von OFARIN in Bini Hissar, Reshkhor und Qalatscha besucht. Der Unterricht ist tatsächlich klar besser als früher. Überall ist die Anwesenheit der Schüler sehr hoch. Von oft über dreißig Schülern fehlen höchstens zwei. Die Schüler beherrschen den Stoff. Sie machen allenfalls kleine Fehler.

Das Augenprogramm von OFARIN: Unser Schulprogramm wird derzeit von einem Augenprogramm begleitet, das Ingenieur Abdullah organisiert. Solche Programme hatte Abdullah bereits vor fünf Jahren durchgeführt. Dann ging uns das Geld aus. Jetzt haben wir wieder damit begonnen.

Kinder, die von Sehfehlern betroffen sind, können diese selber kaum erkennen. Sie haben ja immer so gesehen wie jetzt. Und ihren Eltern und Lehrer wissen auch nicht, dass der Schüler manches nicht richtig erkennt. Das hat durchaus Einfluss auf den Unterrichtserfolg bei Schülern. Manche Schüler haben Mühe, lesen zu lernen, weil sie manche Buchstaben kaum unterscheiden können. Augentests können helfen, Sehfehler zu identifizieren.

Ingenieur Abdullah testet beide Augen von Schülern, Lehrern, Trainern und sonstigen Mitarbeitern. Ein Auge wird verdeckt und mit dem anderen Auge, muss der Untersuchte nach oben, unten, links und rechts gedrehte E’s erkennen. Es werden immer kleinere solcher Zeichen gezeigt. Danach ist das andere Auge dran. Erkennt der Untersuchte nur die großen Formen, kommt er auf eine Liste. Einige Tage später bringt Abdullah alle Untersuchten eines Unterrichtsgebietes, die auf der Liste stehen, in die Noor-Augenklinik. Dort entscheiden Augenärzte nach weiteren Untersuchungen über die Therapie. Viele Patienten werden medikamentös behandelt. Andere bekommen eine Brille. Die Qualität solcher Brillen ist nicht schlecht, obwohl sie verglichen mit Brillen deutscher Optiker fast nichts kosten. Einige Patienten müssen auch operiert werden, manchmal sogar im Ausland.

Das Vorschulprogramm von OFARIN: OFARIN hatte vor einigen Jahren ein sehr gefragtes Vorschulprogramm, das wir auch aus Geldmangel aufgeben mussten. Dieses Programm haben wir jetzt in einigen Moscheen wiederbegonnen. Vorschulunterricht drängt sich überall auf. Die Kinder, die mit etwa sechs Jahren eingeschult werden, können in der Regel die Farben nicht benennen. Manche Kinder führen den Bleistift mit beiden Händen. Nach der Vorschule, die etwa ein gutes halbes Jahr dauert, können Kinder die Farben bezeichne. Sie kenne die einstelligen Zahlen und haben eine Vorstellung von der entsprechenden Anzahl von Objekten. Sie haben viel mit Buntstiften gezeichnet. Kinder, die den Vorschulunterricht durchlaufen haben, sind wesentlich besser auf den allgemeinen Schulunterricht vorbereitet.

Für OFARIN ist das ein Problem. Die Schüler, die den allgemeinen Unterricht beginnen, haben sehr verschiedene Voraussetzungen, je nachdem ob sie in Vorschulunterricht waren oder nicht. OFARIN hat weder die Mittel noch die organisatorischen Voraussetzungen, allen Kindern einen Vorschulunterricht anzubieten. Schüler, die bei uns den allgemeinen Unterricht anfangen, müssten eigentlich verschieden behandelt werden. Das überfordert uns. Ohne Vorschulunterricht, wäre es für OFARIN leichter. Aber die Kinder, die den Vorschulunterricht besuchen, nehmen daraus so viel für sich mit, dass wir diesen Unterricht nicht aufgeben werden. In Zukunft muss der Vorschulunterricht oder wesentliche Teile davon, fester Bestandteil unseres allgemeinen Unterrichtsprogrammes werden. Bis wir dafür Mittel und Wege gefunden haben, führen wir den bisherigen Vorschulunterricht weiter.

Aufforstungen in Khost: Hewad ist wieder in Khost, und bereitet die Nussbaumpflanzungen dieses Herbstes und Winters vor. Eine solche Pflanzung hatten wir im vergangenen Spätherbst und Winter in Senaki im Bezirk Tani durchgeführt. Dort waren seit Jahrzehnten edelste Bäume, wie Eichen und Zedern, abgeholzt und verkauft worden. Die entwaldeten Flächen wurden als Weideland genutzt. Der verbliebene Mutterboden war der Erosion ausgesetzt.

Zum Schutz der Setzlinge wurde das ganze Projektgebiet die nächsten drei Jahre lang für Nutztiere – Schafe, Ziegen, Kühe – gesperrt. Überwachungsteams verhindern das Eindringen der Tiere. Schon im ersten Jahr nach der Anpflanzung keimten überall im Projektgebiet wieder Zedern und Eichen. Die alten Bestände lebten noch und begannen sich zu erholen. Daraufhin stellten ansässige Stämme mehrere Weideflächen, die früher bewaldet waren, unter Quarantäne – d.h. sie schlossen auch diese Gebiete für Nutztiere. Die lokalen Behörden unterstüzen die Initiative.

Dieses hochinteressante Experiment ist kein Selbstläufer. Es gehen Weideflächen verloren. Dafür entstehen nach Jahren wahrscheinlich Wälder. Was macht man mit Wäldern? Man kann sie wieder abholzen und verkaufen. Dann ist man wieder da angekommen, wo man jetzt ist. Die Quarantäne-Wälder bieten den Menschen ja keine regelmäßige Ernte wie unsere Nussbaum-Wälder. Doch halt! Da muss man genauer hinsehen.

Auch ein Wald mit edlen Hölzern kann regelmäßige Ernten bieten. Dazu bedarf es einer starken Forstwirtschaft, wie wir sie z.B. in Deutschland haben. Fachleute müssen jedes Jahr festlegen, welche Bäume gefällt und was für Bäume nachgepflanzt werden sollen. So sichert der regelmäßige Verkauf wertvollen Holzes konstante, hohe Einkünfte.

In vielen Entwicklungsländern gab es eine traditionelle Forstwirtschaft, wie wir sie noch heute in Deutschland haben. Unter den Einheimischen kannten sich viele mit den Bäumen aus. Die konnten entscheiden, welche Bäume dieses Jahr gefällt werden müssen und welche erst in fünf Jahren. So blieb der Wald erhalten und warf für die Menschen Gewinn ab. Die Einwohner befolgten die Entscheidungen ihrer Baumexperten. Die Stämme in Khost scheinen mir durchaus in der Lage zu sein, eine nachhaltige Forstwirtschaft aufzubauen.

Aber können die Menschen ihre Wälder gegen Einflüsse von außen schützen? Die Beamten im fernen Landwirtschaftsministerium in der Hauptstadt haben noch nie eingesehen, wie man den Hinterwäldlern in der Provinz die Verantwortung für die Wälder überlassen kann. Eigentlich steht ihnen in der Zentrale doch jede Entscheidung über die Landwirtschaft zu. Wenn dann ein ausländischer Investor ein Pauschalangebot für alle Hölzer in einer gewissen Gegend macht, ist das ein Rieseneinkommen für die Staatsfinanzen – und für einige hohe Beamten eine Gelegenheit ihr Privatvermögen auszubauen. Niemand in der Hauptstadt setzt sich in solcher Situation für den Erhalt des Waldes in der fernen Provinz ein. Trotzdem sind die Wälder in Khost nicht ohne Schutz. In Khost lebt die Bevölkerung in Stammesverbänden, die es gewohnt sind, ihre Rechte zur Not mit Gewalt zu verteidigen. Alle Afghanen wissen, dass die Männer aus Khost sehr gut schießen können.

Die Fragen, die sich in Khost stellen, stellen sich fast überall in Afghanistan. Das Land, das oberhalb der bewässerten Felder liegt, wurde viehzüchtenden Nomaden überlassen. Die Grenzen zwischen Ackerland und Weideland sind meist zwischen Bauern und Nomaden umkämpft. Oft griffen politische Kräfte zu Gunsten der Nomaden ein. Aber auch die ansässigen Bauern besitzen selber Nutzvieh, das Weideland braucht. Wald hat in dieser Auseinandersetzung zwischen Ackerland und Weideland keine Chance. Doch für die lokale Wirtschaft und auch für das lokale Klima, wäre es vorteilhaft, wenn Wald in der Nähe wäre, der Holz liefert und die Gegend kühl und feucht hält. Alle Landstriche würden ökonomisch und ökologisch sehr gewinnen, wenn sie von Waldflächen durchsetzt wären. Wie sehr das überhaupt möglich ist, hängt von den Niederschlägen und der Bodenbeschaffenheit ab. Aber hier kann man mit der Wahl geeigneter Pflanzen viel erreichen. Auch die Art der Bewässerung, z.B. Tröpfchenbewässerung, schafft Möglichkeiten. Entscheidend ist die Mitarbeit der Bevölkerung. In den meisten Teilen Afghanistans findet man keine belastbaren Stammesstrukturen wie in Khost. Stattdessen hat man es mit Clanchefs zu tun, die auf persönliche Vorteile lauern. Und korrupte Behörden, können jeden Fortschritt verhindern.

Im Augenblick sind alle Kräfte von OFARIN, die sich um die Landwirtschaft kümmern, in Khost gebunden. Aber im nächsten Jahr könnten wir uns erste Ausflüge in die Landwirtschaft ganz anderer Provinzen vorstellen.

„Finding Afghanistan“ ist ein Buch von Martin Gerner. Martin hat Afghanistans Schicksal während der „demokratischen Periode“, also von 2001 bis 2021, verfolgt und durchlitten. Er hat als Journalist und als Filmemacher berichtet. Schließlich hat er zusammen mit Fachleuten ein Buch über diese Zeit geschrieben (alles in Englisch und Deutsch – bis auf den Titel). 140 wunderschöne Fotos hat er gemacht. Das Buch kam für 32 € auf den Markt. Doch Martin ist ein notorischer Pechvogel. Sein Verlag ging in Konkurs. Martin verkauft das Buch jetzt persönlich und würde sich freuen, wenn Sie sich dafür interessierten. Hier seine Adressen: Martin Gerner, Maastricher Str. 14, 50672 Köln und E-Mail: Mar.gerner@googlemail.com.