OFARIN: Verhandlungen mit dem Erziehungsministerium

Dieser (Februar-) Rundbrief wird kurz. Es gibt nur wenige Neuigkeiten über unser Programm. Wer sich nicht in die Einzelheiten unseres Unterrichts hineinknien will, kann sich das Folgende ersparen. Erst wenn am Zeilenanfang das Zeichen (X) erscheint, geht es um afghanische Politik.

Das Protokoll (der Vertrag), durch das das Erziehungsministerium und OFARIN Partner werden sollen, steht seit Jahresbeginn kurz vor der Unterzeichnung. Unsere afghanischen Kollegen besuchen zwei bis dreimal die Woche das Ministerium, um letzte Unklarheiten zu besprechen und zu erfahren, auf welchen Unterzeichnungstermin sie hoffen dürfen. Neulich sollte es sogar schon am nächsten Tag geschehen. Aber bei dem Zeremoniell sollten auf Seiten des Ministeriums neun Beamte teilnehmen. Leider musste einer davon zu einer Beerdigung und so klappte es noch nicht. Jetzt soll es am 1. März soweit sein.

Warum ist diese Partnerschaft für OFARIN wichtig? Rein formal müssen wir einen Partner für unser Tun haben. Der bisherige Partner, das Ministerium für Religiöse Angelegenheiten, war von den Taliban mit Personal besetzt worden, mit dem keine Zusammenarbeit denkbar war. Daher bemühen wir uns seit Mai 2022 darum, Partner des Erziehungsministeriums zu werden. Inzwischen verfügten auch die Taliban sinnvoller Weise, dass für Organisationen wie OFARIN, die sich um Schulunterricht bemühen, nur das Erziehungsministerium Partner sein darf.

Durch die Partnerschaft wird OFARINs Unterricht nicht mit dem öffentlichen, also dem vom Erziehungsministerium organisierten, Unterricht gleichgestellt. Unsere Schüler müssen, wenn sie der Schulpflicht genügen wollen, zusätzlich eine öffentliche Schule oder eine als Privatschule anerkannte Schule besuchen. Das ist inhaltlich gerechtfertigt, da OFARIN nicht alle Fächer – z.B. Geschichte – anbietet. Dafür haben wir bei der Gestaltung des Unterrichtes große Freiheiten und müssen uns nicht den Vorschriften fügen, die wesentlich dazu beitragen, dass der öffentliche und auch der staatlich anerkannte Privatunterricht sehr ineffizient sind. Es sind aber Übergänge von Schülern, die nur in OFARINs Unterricht waren, in die staatliche Schule problemlos möglich. Die öffentliche Schule führt eine Aufnahmeprüfung durch, bei der in der Regel OFARINs Schüler glänzend abschneiden, und der Schüler geht von da an in die öffentliche Schule. Mit dem Partnerschaftsvertrag wird für OFARIN vieles so bleiben, wie es bisher schon war. Das ist das, was wir für die absehbare Zukunft benötigen. Allerdings können wir weiterhin wegen unserer Schüler, die auch der Schulpflicht genügen wollen, täglich nur wenige Stunden Unterricht erteilen. Auf längere Sicht sollte es dank der Partnerschaft möglich sein, Mischformen mit dem öffentlichen Schulwesen zu entwickeln.

Momentan sind wir aber noch kein Partner. Das macht Besuche unserer Trainer in den Jungenklassen und unserer Trainerinnen in den Mädchenklassen heikel, denn der Unterricht hat noch keine gesetzlichen Grundlage. In der Moschee von Bini Hissar treffen sich unsere Klassen derzeit nur zum Religionsunterricht. Die Lehrkräfte werden nicht bezahlt. Sobald das Protokoll unterzeichnet ist, wird der Imam der Moschee unseren normalen Unterricht wieder erlauben und wir werden die Lehrkräfte wieder bezahlen. Übrigens erlaubt der Imam auf Druck der „Weißbärte“, also des Pfarrgemeinderates, dass in seiner Moschee auch Mädchenklassen arbeiten.

Wir haben es den Klassen freigestellt, sich nach der lokalen Situation zu richten. Einige Klassen wurden unbefristet beurlaubt. Die meisten Klassen haben weiter gearbeitet. Allerdings wurden viele Klassen nicht regelmäßig von ihren Trainern besucht, was wir mit Unbehagen sehen.

Ist das Protokoll unterzeichnet, wird sich vieles normalisieren. Dann werden wir auch versuchen, den Status unserer weiblichen Büromitarbeiter offiziell zu klären. Dank der talibanischen Geschlechtertrennung brauchen wir diese Frauen für die Betreuung und Schulung der Lehrerinnen und für den Besuch von Mädchenklassen. Wir hoffen uns mit der lokalen Religionspolizei darauf einigen zu können, dass die Mitarbeiterinnen wieder im Büro arbeiten können.

(X) Die entsetzliche Langsamkeit des Erziehungsministeriums ist keineswegs gegen OFARIN gerichtet. Wir sind dem Ministerium als Partner willkommen. Es handelt sich um die Ruhe derjenigen, die einen Sturm erwarten. Die Beamten wissen nicht, auf was für eine Zukunft sie sich einstellen müssen.

Innerhalb der Taliban-Führung ist der Schulunterricht für Oberschülerinnen und das Studium für Frauen umstritten. Der Unterricht wurde untersagt. Um den offenen Bruch zu vermeiden, behaupteten die gemäßigten Talibanführer, es ginge nur um die Herstellung technischer Voraussetzungen. Unumstritten ist die Geschlechtertrennung. Doch dafür bräuchte man weitere Lehrerinnen und Professorinnen und zusätzliche Räume. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, sollten die Frauen und Mädchen ihre Ausbildung fortsetzen. Doch die reaktionären Taliban hatten es ernst gemeint.

Der Emir von Afghanistan, Mullah Haibatullah Akhondzadah, hat verfügt, dass es keinen Unterricht für Frauen und ältere Mädchen mehr gibt. Als Westler reibt man sich die Augen. Das Staatsoberhaupt war ein Kompromisskandidat aus der zweiten Reihe der Taliban. Eigentlich war Abdul Ghani Baradar als Staatschef erwartet worden. Er hatte bei den Abzugsverhandlungen mit den Amerikanern eine wichtige Rolle gespielt. Aber er war kein Freund Pakistans auf dessen Hilfe man zur Zeit der Regierungsbildung noch angewiesen war.

Für die Taliban-Kämpfer spielt der nach irdischen Vorstellungen nicht gerade triumphale Weg des Haibatullah Akhondzadah an die Spitze des Staates keine Rolle. Jetzt ist er Emir. Das ist auch ein religiöser Titel. Außerdem dürfte er die Einstellung der Masse der einfachen Krieger verkörpern. Von denen sind die meisten selber nicht in die Schule gegangen. Aber vermutlich kennen sie das mit Schule verbundene Versprechen des sozialen Aufstiegs und ahnen, dass es sie nicht betrifft. Schule war in der propagandistischen Agitation der Konservativen seit Jahrzehnten ein Feindbild gewesen. „Schule ist Sünde“ ist ein gängiges Schlagwort. Und vor Sünde muss man zuerst die Mädchen bewahren. Von solchen Vorstellungen können sich die einfachen Taliban ebenso schlecht freimachen, wie ihr religiöses Oberhaupt.

Mächtige Minister sehen das anders. Sie wissen, dass man Länder, auf deren Hilfe man angewiesen ist, nicht durch erzreaktionäre Flausen vergrätzen darf. Sie wissen auch, dass Afghanistan nur eine erträgliche Zukunft haben wird, wenn man die Bildung vorantreibt. Der mächtige Innenminister, Sirajuddin Haqqani, und der Verteidigungsminister Omar Yaqub, ein Sohn von Mullah Omar, dem Emir der alten Taliban, waren entsetzt und besuchten den Emir, um ihn umzustimmen. Der Emir hat sich dazu nicht geäußert. Aber Serajuddin Haqqani hält in seiner Heimatprovinz große Versammlungen ab, in denen die Wichtigkeit von schulischer Bildung herausgestellt wird.

Die Bildungsfrage für Mädchen und Frauen ist also vollkommen offen. Ein Show Down wird erst stattfinden, wenn der Unterrichtsbetrieb wieder beginnt. Im Winter, von Ende November bis zum afghanischen Neujahr (21. März), sind die staatlichen Schulen und Universitäten geschlossen – im Gegensatz zu den Schulen von OFARIN, die auch im Winter arbeiten.

Es ist nicht auszuschließen, dass sich auch nach Neujahr noch nichts schlagartig ändern wird, zumal dieses Neujahr der Fastenmonat Ramadan beginnt. Aber es ist wahrscheinlich, dass der Emir dann den Zugriff auf das Bildungswesen verliert. Schon jetzt haben die wichtigen Provinzen Balkh, in der auch die Stadt Mazar-e-Scharif liegt, und Herat die Entscheidung des Emirs abgelehnt. In diesen Provinzen können alle Mädchen in die Schule gehen und studieren.

Wir – Anne Marie und ich – haben vor, etwa zum afghanischen Neujahr nach Afghanistan zu reisen. Das liegt daran, dass wir ein Visum haben, mit dem wir bequem einreisen können, das aber bald ausläuft. Außerdem erwarten wir im Frühjahr Änderungen im Unterrichtswesen, und wollen OFARIN zusammen mit unseren afghanischen Kollegen richtig positionieren.

Herzliche Grüße,

Peter Schwittek.