Kritik des BVN & Antwort der ÜSTRA: Es geht um die Sicherheit von blinden Menschen

Die Kritik des BVN (Blinden- und Sehbehindertenverbands Niedersachsen e.V.):

Die Corona-Pandemie hatte es möglich gemacht: Seit ihrem Beginn öffneten die ÜSTRA-Stadtbahnen sämtliche Türen auch an allen oberirdischen Stationen. Für blinde und sehbehinderte Menschen in Hannover, die diesen Automatismus aus Sicherheitsgründen schon viele Jahre gefordert hatten, bedeutet diese Maßnahme vor allem eins: Sicherheit. Jetzt soll die Regelung fallen. Und obwohl die ÜSTRA sehr wohl die Argumente blinder Menschen kennt, hielt sie es nicht für nötig, im Vorfeld den BVN zu informieren, geschweige denn nach geeigneten Lösungen zu suchen.

In der Vor-Corona-Zeit war es immer wieder zu schweren Unfällen gekommen, weil seheingeschränkte Menschen auf der Suche nach einer Tür zwischen zwei Wagen in den Gleisbereich gefallen waren. So war 2019 eine blinde Frau auf der Suche nach einer Tür in den Kupplungsbereich zwischen zwei Wagen gefallen – die anfahrende Stadtbahn hatte sie mitgeschleift, schwerste Verletzungen waren die Folge.

Unfälle dieser Art würden nicht passieren, wenn sich alle Türen automatisch öffneten: Die dabei entstehende deutliche Akustik erleichtert seheingeschränkten Menschen das zielgerichtete Auffinden der Eingänge erheblich. Das gefährliche und unangenehme Suchen nach den Türöffnern entfällt.

Wie der BVN jetzt erfahren hat, soll diese Regelung mit dem Ende der Maskenpflicht wieder zurückgenommen werden. Dabei hat sie Wirkung gezeigt: In den letzten zwei Jahren sind keine Unfälle mit seheingeschränkten Passagieren vorgekommen. „Deshalb fordern wir, dass das automatische Öffnen der Türen beibehalten wird“, erklärt BVN-Geschäftsführer Gerd Schwesig. Ein Zurück zur alten Regelung habe nicht nur für blinde und sehbehinderte Menschen Unsicherheit, Angst und gefährliche Situationen zur Folge. Auch für Kundinnen und Kunden mit Bewegungseinschränkungen, Gehhilfen, Rollstühlen, Rollatoren oder Kinderwagen bedeutet das generelle Türöffnen Sicherheit und Entspannung. Schwesig glaubt aber noch an die Gesprächsbereitschaft der ÜSTRA: „Menschen mit Einschränkungen sind auf die Stadtbahnen angewiesen. Müssen die Türen wieder gesucht werden, setzt die ÜSTRA die Sicherheit, Gesundheit, im schlimmsten Fall das Leben von Kundinnen und Kunden aufs Spiel! Das kann nicht gewollt sein.“

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Dazu die Stellungnahme der ÜSTRA:

Durch den Wegfall sämtlicher gesetzlicher Corona-Auflagen haben wir uns dazu entschieden, auch die weiteren getroffenen Schutzmaßnahmen aufzuheben, dazu gehört, dass sich die Türen der Stadtbahnen nun  nicht mehr vollautomatisch an allen oberirdischen Stadtbahnhaltestellen öffnen. Diese Entscheidung haben wir unter sorgfältiger Abwägung aller Rahmenbedingungen getroffen, die wir gern näher erläutern möchten.

Das automatische Öffnen der Türen verursacht einen deutlich höheren Energieaufwand für das Heizen und die Türantriebssteuerung. Außerdem müssen wir bei unserer Flotte die Auswirkungen auf die Wartung im Blick behalten. Durch das häufige Türenöffnen steigt gerade bei unseren älteren Fahrzeugtypen der Wartungsaufwand. Das ist für unser Unternehmen ein weiterer erheblicher wirtschaftlicher Faktor.

Das weit vor Corona zwischen dem Blindenverband und der ÜSTRA festgelegte Verfahren des Hochhaltens des Blindenstocks hat sich in der Praxis bewährt. Hierfür werden wir unsere Mitarbeitenden erneut sensibilisieren und um besondere Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme bitten. Bereits im letzten Jahr haben wir auch wieder unsere Mobilitätstrainings aufgenommen, die die ÜSTRA auch in diesem Jahr anbieten und rechtzeitig bekannt geben wird. Hier können auch seheingeschränkte und blinde Menschen in Ruhe das Ein- und Aussteigen in Bus und Bahn üben. Speziell ausgebildetes Fachpersonal gibt wertvolle Hinweise und beantwortet gerne alle Fragen.

Um das Sicherheitsbedürfnis besonders der Blindenverbände zukünftig noch besser zu berücksichtigen, werden die neuen Stadtbahnen vom Typ TW 4000 mit näherungssensiblen Steuerungen ausgerüstet sein.

Den Vorwurf, dass die ÜSTRA das Leben Sehbehinderter und Blinder gefährdet, können wir nicht teilen. Wir möchten gemeinsam langfristige Lösungen anstreben, die von allen Beteiligten und allen Fahrgästen uneingeschränkt mitgetragen werden. Wir wollen im regelmäßigen Austausch versuchen, die besonderen Bedürfnisse von Betroffenen mit Seheinschränkungen weiter zu verbessern.