Am 9. Oktober haben wir OFARINs Mitgliederversammlung durchgeführt. Sie diente vor allem der gegenseitigen Information. Die Wahl des Vorstands ergab keine Änderungen. Nach deutschem Vereinsrecht sind wir wieder voll handlungsfähig. In Afghanistan sieht das anders aus. Dort warten wir.
Die Taliban erließen nach ihrem Einmarsch in Kabul eine Ausgangssperre, die ab 19 Uhr gilt. Dann sind aber noch Kommandos von Haus zu Haus und von Wohnung zu Wohnung unterwegs. Die suchen nach Feinden, z.B. nach Mitarbeitern ausländischer Organisationen.
Von OFARINs Mitarbeitern lebt kaum noch einer dort, wo er vor einem Monat wohnte. Die neuen Nachbarn wissen nicht, dass unsere Kollegen für OFARIN arbeiten. Woher wissen die Kommandos, wo unsere Mitarbeiter wohnen? Sie wissen es auch nicht. Sie fragen überall. Hier und da wird denunziert. So kommen sie weiter. Es wird aber viel öfter gewarnt und geholfen. Menschen aus der Nachbarschaft rufen an: „Bei mir waren gerade drei Bewaffnete, die suchen offenbar nach Ihnen.“ Bisher konnten alle festen Mitarbeiter rechtzeitig untertauchen. Um niemanden zu gefährden, nennen wir keine Einzelheiten.
Wer schickt diese Kommandos aus? Die Führung der Taliban bittet immer wieder ausländischen Hilfsorganisationen weiter in Afghanistan zu arbeiten, weil sie gebraucht werden.
Die Kommandos suchen u.a. auch nach Bürgern, die aus dem Pandschirtal stammen. Deren Landsleute im Hindukusch haben sich einige Tage gegen die Taliban gewehrt. Dafür werden sie brutal bestraft. Aus dem Pandschirtal wird von Massenerschießungen berichtet. Auch in Kabul werden die Pandschiri verfolgt.
Sonst wird in der Stadt gezielt nach Richtern und Staatsanwälten gesucht und nach einzelnen Journalisten. Soldaten und Polizisten der ehemaligen Regierung sind im ganzen Land gefährdet. Es heißt allerdings, dass Mullah Mohammad Yakub, der Verteidigungsminister der Taliban und Sohn von Mullah Omar, dem verstorbenen Anführers der „alten Taliban“, sich bemüht Regierungssoldaten zu schützen.
Mit „alten Taliban“ bezeichne ich diejenigen, die bis 2001 herrschten. Bei der Gelegenheit noch etwas zur Terminologie: Ein „Talib“ ist eigentlich ein angehender Mullah, jetzt also auch ein Mitglied der Taliban-Bewegung. „Taliban“ ist der Plural von Talib.
In Kabul und andernorts wird nach jungen Männern gesucht, um sie zum Militärdienst für die Taliban zu rekrutieren. In vielen Dörfern auf dem Land ergeht es Mädchen noch schlimmer. Sie werden verschleppt und mit Taliban-Kämpfern verheiratet.
In der Provinz Daikundi haben die Taliban, die ganz überwiegend paschtunische Sunniten sind, damit begonnen, die dort lebenden schiitischen Bauern vom Volk der Hazara von ihrem Land und ihren Höfen zu vertreiben. In dem ebenfalls von Hazara bewohnten Malistan haben die Taliban nach der Übernahme der Macht, die Schiiten zu Ungläubigen erklärt, vermutlich auch als Voraussetzung für deren Vertreibung.
Die Führung der Taliban verkündet weiter, dass keine Rache geübt werden soll. Ehemalige afghanische Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte sollen bitte im Land bleiben. Man brauche sie als Fachkräfte. In der Regierung sollen alle Ethnien vertreten sein. Auch die Schiiten sollen angemessen an der Macht beteiligt werden.
Man darf den Taliban-Führern, die das verbreiten, unterstellen, dass sie es im Ernst so wollen. Die Vernunft gebietet es ihnen. Würden die überwiegend paschtunischen Taliban, die vielleicht 40% der Bevölkerung stellen, versuchen, die anderen Ethnien zu dominieren oder einen radikalen Islamismus durchzusetzen, stießen sie bald auf Widerstand. Ausländische Kräfte würden sich dann zu Schützern bedrohter afghanischer Ethnien erklären. Nachbarländer würden sich durch radikalen Islamismus bedroht sehen. Ein Bürgerkrieg wäre kaum zu verhindern.
Dennoch besteht das Kabinett ganz überwiegend aus Paschtunen. Und wer schickt Kommandos von Haus zu Haus, die nach Menschen fahnden, mit denen sich die Taliban nach offiziellen Bekundungen versöhnen wollen? Wer jagt wehrlose schiitische Bauern von Haus und Hof?
Offenbar haben die einzelnen Taliban andere Motive als ihre Führer, die von Doha aus, vernünftige Absichten verkünden. Es gibt recht verschiedene Gründe, weshalb sich Männer den Taliban angeschlossen haben. Einer tat es, weil der Mullah gepredigt hat, dass die Ausländer mit ihrem Militär gekommen sind, um den Islam abzuschaffen. Ein anderer ist Talib geworden, weil amerikanische Flugzeuge das Gehöft der Familie bombardiert haben. Dabei sind seine Mutter und ein kleiner Bruder umgekommen. So etwas muss gerächt werden. Wieder ein anderer hat schon von seinem Vater gelernt, dass die Schiiten, die im nächsten Tal wohnen, keine echten Moslems sind. Sie sprechen eine andere Sprache. Der Fluss durch deren Tal führt reichlich Wasser und ermöglicht gute Ernten, bessere als in dem Tal, wo er lebt. Es ist ein Unrecht, dass es solchen Leuten so gut geht. Im Krieg haben diese Leute mit der Regierung und mit Soldaten der Ungläubigen zusammengearbeitet. Wieder ein anderer Talib war immer dagegen, dass man den Ausländern alles nachmacht, wie es die Kabuler Regierung tat. In Kabul und anderen Städten arbeiten Frauen zusammen mit Männern aus ganz anderen Familien – in einem Amt, einer Schule oder einem Kaufhaus. Das ist doch die reinste Unmoral. Man darf nicht zulassen, dass so etwas in Afghanistan üblich wird.
Über die Gründe, warum man sich den Taliban anschloss, sprach man mit den Mitkämpfern aus der Umgebung mit denen man zusammen Regierungsgarnisonen angriff oder Treibstofftransporte überfiel. Aber warum die Taliban auf der anderen Seite des Gebirges zu den Waffen gegriffen haben, darüber konnte man mit denen nie sprechen. Jeder Talib hat etwas anderes im Kopf, wofür er kämpft. Auf ein gemeinsames Kriegsziel hatte man sich nie geeinigt. Natürlich, gewinnen wollte man. Und dann sollte das Scharia-Recht eingeführt werden. Das bringt die wahre Gerechtigkeit. Aber wie sieht es genau aus? Sind das die Regeln, die die „alten Taliban“ damals eingeführt hatten, als sie an der Macht waren? Keine Musik; keine Schule für Mädchen; wer sich rasiert, kommt ins Gefängnis. Vieles war übertrieben, meinen viele Taliban. Das war wohl doch nicht das richtige Scharia-Recht.
Und wie soll man mit gefangenen Regierungssoldaten umgehen? „Die sind Soldaten geworden, damit sie ihre Familie ernähren konnten. Was hätten sie denn machen sollen?“ meint der eine. Ein anderer sagt: „Nein, der hat gegen uns gekämpft. Der hätte mich erschossen, wenn ich Pech gehabt hätte. Der muss bestraft werden.“
Und wie soll man die Leute behandeln, die für eine ausländische Organisation gearbeitet haben? „Die muss man bestrafen. Die wollten den Ausländern helfen, unsere Religion zu zerstören.“ – „Nein, die haben doch nur ein Krankenhaus betrieben. Vor einem Jahr war ich mit meiner kleinen Tochter dort. Ohne die wäre das Kind gestorben. Wo soll ich denn hingehen, wenn die nicht mehr da sind?“
Viele Fragen, die sich jetzt stellen, sind unter den Taliban nie besprochen worden, weder unter den Kämpfern noch unter ihren Anführern. Oft weiß niemand, wie man sich entscheiden soll.
Die Führung der Taliban müsste vieles entscheiden und ihren Anhän-gern vermitteln. Sie haben einen Krieg gewonnen. Man darf ihnen dennoch keine militärische Ordnung unterstellen, wie wir sie für effizient halten. Befehl und Gehorsam gibt es bei den Taliban nicht. Sie treffen viele Entscheidungen in Stammesversammlungen, in denen jeder eine Stimme hat, der ein Stück Land besitzt. Dort geht es sehr demokratisch zu. Das Ziel der Stammesversammlung sind einstimmige Beschlüsse. Jeder formuliert einen Entscheidungsvorschlag. Jeder versucht die bisher gemachten Vorschläge in seinen Vorschlag aufzunehmen. Wenn keine Einigkeit besteht, nachdem alle gesprochen haben, geht es weiter. Im Idealfall schlagen in einer letzten Runde alle inhaltlich das Gleiche vor. Leider sind die Interessenlagen selten so, dass ein gemeinsamer Vorschlag möglich wird. Dann lebt man ohne Entscheidung weiter und hofft, dass später eine möglich wird.
Auf viele Entscheidungen wird man also warten müssen. Die Führer der Taliban haben verkündet, dass Frauen weiter studieren dürfen. Das war ein Fortschritt. Unter den alten Taliban durften Frauen nicht studieren. Allerdings muss der Unterricht nach Geschlechtern getrennt sein. Studentinnen sollen nur von Dozentinnen unterrichtet werden und Männer nur von Männern. Aber dazu bräuchte man die richtige Anzahl von weiblichen und männlichen Dozenten sowie geeignete Räumlichkeiten. Das ist nicht der Fall. Die Vorlesungen wurden geschlossen, bis überall die geeigneten Voraussetzungen geschaffen sind. Das wird etwas dauern.
Es ist auch fraglich, ob tatsächlich alle Führer der Taliban an einem Strang ziehen. Die Afghanen teilen diese Führer in Kandahari und Khosti ein. Kandahari sind die „alten Taliban“. Viele von ihnen waren schon vor 2001 Minister. Sie stammen meist aus der Gegend von Kandahar. Die Khosti sind das Haqqani-Netzwerk, das in enger Absprache mit dem pakistanischen Geheimdienst seit über einem Jahrzehnt Anschläge in Kabul verübt hat. Der Kern des Netzwerkes ist die Familie des Dschalaluddin Haqqani aus Khost. Dessen Sohn Siradschuddin Haqqani führt jetzt das Netzwerk an. Er wurde Innenminister. Spannungen zwischen diesen Flügeln und auch zwischen anderen Exponenten der Taliban dürften viele Unterschiede zwischen den offiziellen Stellungnahmen und den Handlungen der Taliban verursachen.
Etwas anderes sind die Terroranschläge des Islamischen Staates (IS), die sich vor allem gegen Schiiten und Bildungseinrichtungen richten. Die Anschläge des IS zielen immer auf hohe Opferzahlen. Die Taliban und der IS bekämpfen sich erbittert. Wer den IS in Afghanistan unterstützt, ist nicht klar. Allerdings scheinen die IS-Krieger besser versorgt zu sein als die Taliban und die übrige Bevölkerung. Die wirtschaftliche Lage könnte dem IS also weitere Anhänger zutreiben.
Die Lebensmittelversorgung wird immer bedrohlicher. Geld gibt es kaum. Der Taliban-Staat bezahlt seine Beamten, Polizisten und Lehrer nicht. Wer ein Bankkonto hat, konnte bisher wöchentlich bis 200 $ in afghanischer Währung von Automaten abheben. Das geht nicht mehr. Die Banken haben kein Geld mehr. Der Afghani verliert täglich an Wert. Hunger breitet sich aus. Ein Freund berichtet von einem Nachbarn, der aus Scham, dass er kein Brot für seine Kinder auftreiben konnte, Selbstmord beging.
Die Weltgemeinschaft hat eine Milliarde Dollar gesammelt, um in Afghanistan humanitär zu intervenieren. Die Vereinten Nationen wurden mit der Durchführung beauftragt. Das muss jetzt schnell gehen.
Die Taliban-Führung ist auf die internationale Hilfe angewiesen. Ausländer, die Einreisemöglichkeiten nach Afghanistan gefunden haben, können sich dort frei bewegen. Die Taliban verstehen, dass sie auf einen guten Ruf im Ausland angewiesen sind. Über die Freizügigkeit von Ausländern, auch von Journalisten, konnte sich die Taliban-Führung einigen. Und ihre Krieger folgen dieser Entscheidung.
Das lässt darauf hoffen, dass die Taliban-Führung ein akzeptableres Erscheinungsbild ihrer Bewegung durchsetzen wird. Die internationale Gemeinschaft wird ihre Hilfsangebote vermutlich solchen talibanischen Bemühungen anpassen. In der sich verschärfenden Notlage drängt sich diese Entwicklung auf.
Die Taliban sind eine sehr heterogene Bewegung. Ich habe bis 2001 auch unter ihren Führungskräften viele Pragmatiker kennen gelernt, die offen für eine konstruktive Zusammenarbeit waren und mit der offiziellen Ideologie sehr großzügig umgingen. Sicher, jetzt haben sie einen Krieg gegen den Westen gewonnen. Menschenrechte und insbesondere die Gleichberechtigung der Frau lehnen sie ab. Wenn man mit ihnen auskommen will, sollte man nicht auf diesen Begriffen herumreiten. Wenn man praktisch mit ihnen zusammenarbeitet, werden sich viele Inhalte, die wir mit unseren Grundrechten verbinden, von selbst ergeben. Wenn OFARIN seinen Schulunterricht fortsetzt, wird es z.B. ein Problem sein, dass Lehrerinnen zu Fortbildungen in OFARINs Büro kommen. Nach einigen Monaten, werden solche Hindernisse aus praktischen Gründen verschwinden.
Die Zusammenarbeit mit einem Mullah sollte man nicht mit etwas Grundsätzlichem beginnen, wie einem interreligiösen Diskurs. Man fängt besser damit an, mit ihm einen Brunnen anzulegen oder Unterricht zu organisieren. Wenn man solche Aufgaben gemeinsam angeht und dabei Erfolg hat, stellt sich Vertrauen und Freundschaft ein.
Die Notlage Afghanistans zwingt dem westlichen Ausland Kontakte zu den Taliban auf. Das Ausland sollte sie nutzen. Da sind bald Nothilfeaktionen zu organisieren. Im Gegenzug wird Deutschland über die Evakuierung bedrohter Mitarbeiter des Militärs und von Hilfsorganisationen verhandeln. Man sollte darüber hinaus eine breitere Zusammenarbeit in die Wege leiten. Je mehr Afghanistan in den internationalen Austausch einbezogen wird, desto kleiner wird die Flüchtlingswelle, die auf uns zukommt. Auch um zu beobachten, welche Terroristen in Afghanistan wieder Zentren errichten, muss man dort präsent sein. Wenn man dagegen die Kontakte einfriert, treibt man Afghanistan in die Isolation und in die Abhängigkeit von dubiosen Freunden.
Im Augenblick kommt noch keine internationale Hilfe bei den Menschen an. Viele wollen aus Afghanistan raus. Als wir im Juli in Kabul waren, sprach kein Mitarbeiter von Evakuierung. Jetzt wollen alle als bedrohte Mitarbeiter von OFARIN nach Deutschland geholt werden. Der Einmarsch der Taliban; die Kommandos, die von Haus zu Haus gehen; die alliierten Evakuierungsflüge bis Ende August, die vielen als letzte Rettung erschienen; die unwahrscheinlichsten Gerüchte, die von Handykontakt zu Handykontakt an Dramatik gewinnen – das alles hat den Menschen zugesetzt. Ihre Perspektiven haben sich seit unserem Besuch drastisch geändert.
Im Juli erwarteten unsere Mitarbeiter keine wesentlichen Änderungen durch eine Herrschaft der Taliban. Unser Programm war schließlich 1998 gemeinsam mit den Taliban auf den Weg gebracht worden. In den Westen zu gehen, bedeutete damals: Einen Aufwand von 20.000 $ für die Schlepper und eine lebensgefährliche Reise. Das Bleiben in Afghanistan bedeutete ein überschaubares Leben, mit dem man sich arrangiert hatte. Jetzt bedeutet das Bleiben tägliche Angst. Positive Perspektiven sieht man nicht. Man starrt auf die aufziehende Hungersnot.
Nach dem Einmarsch der Taliban haben westliche Politiker öffentlich bekundet, dass es die Pflicht unsere Länder sei, die Mitarbeiter unserer Institutionen zu evakuieren. Solche Bekundungen sind Appelle an das heimische Publikum der Politiker. Die verängstigten Afghanen schnappen verzweifelt nach solchen Zipfeln. Unsere Mitarbeiter sind jetzt überzeugt, einen Anspruch darauf zu haben, nach Deutschland geholt zu werden. Und wer soll diese Ansprüche durchsetzen? Wir, die deutschen Kollegen.
Ich habe eine Liste aller festen Mitarbeiter und ihrer Familien an das Auswärtige Amt geschickt (rund 150 Menschen). Die Adresse hat den Eingang quittiert, indem sie mitteilte, dass man wegen Überlastung die meisten E-Mails nicht liest. Evakuierungen werden erst möglich sein, nachdem mit den Taliban entsprechende Vereinbarungen getroffen wurden. Das dürfte eine Frage von Monaten sein.
Das Ausmaß der Bedrohung für jeden einzelnen kann man von hier aus nicht abschätzen. Wer mit seiner Nachbarschaft Probleme hat, läuft Gefahr, dass jemand den Taliban verrät, dass seine Tochter für eine ausländische Organisation als Lehrerin arbeitet. Für keine unserer Lehrkräfte ist eine Gefährdung auszuschließen, auch wenn wir die Lehrkraft nur als Teilzeitkraft geführt und bezahlt haben. Wenn es hart auf hart kommt, fragen die Taliban nicht nach dem Anstellungsstatus. Unser Kabuler Büro stellt jetzt alle Lehr- und Hilfskräfte zusammen. Das sind über 250 Personen – mit Familien glatt 1000 Menschen.
Tut man diesen Mitarbeitern einen Gefallen, wenn man sie herbringt? Wenn es um ihr Leben geht, sicher. Aber glücklich dürfte hier kaum einer werden. Jeder müsste die Sprache erlernen. Kaum einer ist jung genug, um sich noch für eine zufriedenstellende berufliche Tätigkeit zu qualifizieren. Außerdem kann eine Evakuierung für unabsehbare Zeit in ein Auffanglager in Usbekistan oder Pakistan führen.
Und wie soll es mit OFARIN weitergehen? OFARINs Unterricht war bisher von sehr großem Wert für die Betroffenen. Er sollte unter allen Umständen fortgesetzt werden. Unter den schwierigen Bedingungen einer Taliban-Herrschaft ist er noch wichtiger. Aber wie soll das gehen, wenn alle afghanischen Mitarbeiter das Land verlassen haben?
Es wird auf mehrere Entwicklungen ankommen. Afghanistan werden Mitarbeiter von OFARIN frühestens nach Wochen und Monaten verlassen. Es werden nicht alle Mitarbeiter gleichzeitig gehen. Auf der anderen Seite werden die Taliban ihr Verhalten mäßigen, um dringend nötige internationale Hilfe zu bekommen. Das wird die Ängste der Bevölkerung und auch die unserer Mitarbeiter dämpfen.
OFARIN ist es gelungen, Geld nach Afghanistan zu schaffen. So konnten die Mitarbeiter entlohnt werden. OFARINs Strukturen bleiben arbeitsfähig. Allerdings findet bisher kein Unterricht statt. Die Taliban sollten mit dem Wiederbeginn einverstanden sein. Insbesondere die Umstände unter denen Mädchen und Lehrerinnen teilnehmen, sollten geklärt sein, damit sich die Taliban nicht zu Interventionen veranlasst sehen. Bis jetzt haben die Taliban noch nicht zu einer Ordnung gefunden, dass man bei ihnen Gesprächspartner ausmachen könnte.
Unsere Kollegen verwenden das Geld, das nach den Lohnzahlungen übrig ist, um „kleine Nothilfen“ zu leisten, d.h. Familien unserer Lehrer oder Schüler zu helfen, die durch die Taliban oder auch durch Corona in Notlagen geraten sind.
Übrigens wurden in Kabul die Augenbehandlungen von Amena und Mohmen, den Kindern der Witwen Khurschid und Zachera, über die wir im zweiten Juli-Rundbrief berichteten, erfolgreich abgeschlossen. Dagegen konnte das Auge von Fereschda (Rundbrief vom 21.4.) bisher nicht durch eine Prothese ersetzt werden. Dieser Eingriff muss in Pakistan gemacht werden. Die Grenze dorthin ist weiterhin geschlossen. Fereschda wird in Kabul von einem Augenarzt betreut, so dass keine weiteren Schäden drohen.
OFARIN ist entschlossen, sich an der internationalen Hilfe zu beteiligen, die von den Vereinten Nationen für die hungernde Bevölkerung organisiert werden wird. Da geht es um gezielte Verteilungen von Geld oder Lebensmitteln. Solche Verteilungen, meist gegen Arbeitsleistungen, habe ich schon unter den alten Taliban organisieren helfen.
Sobald solche Hilfsaktionen einsetzen, werden die Taliban diejenigen, die daran mitwirken, nicht mit ihren Beschuldigungen behelligen können. Man wird sich mit den Taliban abstimmen müssen, so dass sich Gelegenheiten ergeben werden, mit ihnen auch über andere Felder der Zusammenarbeit zu sprechen. OFARIN wird versuchen, Bedingungen für den Unterricht auszuhandeln, um den Zustand wieder zu erreichen, wie er vor der Machübernahme bestand.
Die Absichten, die ich hier entwickelt habe, sind kein reines Wunschdenken. Wir werden uns auf die Taliban einlassen, um unsere Arbeit fortzusetzen und weiterzuführen. Das steckt voller Ungewissheiten und wird Flexibilität erfordern. Vielleicht müssen wir die eine oder andere Kröte schlucken. Wenn man dazu bereit ist, droht die Gefahr der Prinzipienlosigkeit. Wir werden uns bemühen, Ihnen die Möglichkeiten, aber auch die Zwickmühlen, in die wir zu geraten drohen, ehrlich darzustellen – in erster Linie, hier in diesen Rundbriefen.
Im Augenblick geht es darum, unsere Belegschaft in Afghanistan arbeitsfähig zu halten und mit Geld zu versorgen, auch wenn jetzt noch kein Unterricht möglich ist.
Herzliche Grüße,
Peter Schwittek.
Ergänzung der Redaktion:
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Ein Bild von der langjährigen Arbeit und Erfahrung von Herrn und Frau Schwittek können Sie sich auch durch die Lektüre der Berichte in dieser Rubril des LB machen.
Weiterhin finden Sie den ersten von Dr. Peter Schwittek im LeineBlick veröffenten Artikel vom 24.9.2001 – leider nicht mehr bebildert – HIER. Es geht um Afghanstan nach dem Angriff auf das World Trade Center.
Mit freundlicher Empfehlung
Wolfgang Siebert, Herausgeber des LeineBlicks