Afghanistan Rundbrief: Der Unterricht geht weiter

Nicht nur in OFARINs kleinen Moscheen in Logar werden Hygienevorschriften vorbildlich eingehalten. -- Bild: OFARIN/Ehsanullah

Liebe Freunde,

aus Afghanistan kann ich weiterhin nur mittelbar berichten. Die Kabuler Kollegen telefonieren fleißig mit mir und halten mich auf dem Laufenden.

OFARIN nahm den Unterricht zeitlich noch etwas vor den staatlichen Schulen wieder auf. Unsere Klassen waren voll. Als dann auch die staatlichen Schulen begannen, gab es in Kabul das Chaos, mit dem wir zu jedem Schuljahresbeginn konfrontiert werden. Staatliche Schulen brauchen Wochen, um ihre Ordnung zu finden. Mal beginnt eine Klasse vormittags den Unterricht, mal nachmittags, mal frühmorgens, um 6:00 Uhr. Das wird wieder und wieder umgestellt. Wenn eine Schule alles so sortiert hat, dass alle Klassen ihren Platz und ihre Zeit haben, greift die städtische Schulverwaltung ein und nötigt die Schule, ihre Pläne noch einmal zu ändern.

Die meisten unserer Schüler besuchen sowohl die staatlichen Schulen als auch OFARINs Unterricht. Nicht leichter wird es dadurch, dass auch ein Teil unserer Lehrkräfte Schülerinnen oder Schüler der elften oder zwölften Klasse der staatlichen Schule sind. Die meisten unserer Schüler und ein nennenswerter Teil der Lehrkräfte müssen also alle drei Tage die öffentliche Schule zu geänderten Tageszeiten besuchen. OFARIN bemüht sich, unsere Unterrichtszeiten so anzupassen, dass uns möglichst viele Lehrer und Schüler erhalten bleiben. Genau in dieser Phase steckt der Kabuler Teil von OFARINs Programm jetzt. Das wird sich in drei Wochen bessern. Dann wird in den staatlichen Schulen Ruhe und Ordnung einkehren; und weitere drei Wochen später werden die staatlichen Schulen für ein Vierteljahr in die Winterferien gehen. In Pandschir und Logar gibt es diese Probleme nicht. Dort läuft OFARINs Betrieb ungestört. Die folgenden Bilder  zeugen davon.

In Paryan in Pandschir lässt sich eine Dame aus OFARINs Kabuler Büro vorführen, was die Schüler wissen. — Foto: OFARIN/ Abdul Hussain Khavari / Naqib Tanai

 

Unterricht in Logar — Bild: OFARIN/ Ehsanullah

 

Unterricht in Paryan — Bild: OFARIN/ Abdul Hussain Khavari / Naqib Tanai

 

Im Kabuler Stadtteil Dascht-e-Bartschi hat ein Mullah vorgeschlagen, gemeinsam mit OFARIN vier Klassen für erwachsene Frauen zu betreiben. OFARIN soll nur für die Schulbücher, Bleistifte und Hefte sowie für die Ausbildung und Betreuung der Lehrerinnen sorgen. Lehrergehälter soll OFARIN nicht aufbringen.

Ähnliche Kooperationen wurden uns schon in anderen Gegenden angetragen. Leider ist bisher nie etwas daraus geworden. Soweit wir wissen, sind die vorgesehenen Lehrkräfte abgesprungen, weil sie dann doch nicht umsonst oder zu unsicheren Bezahlungen seitens einer Moscheegemeinde arbeiten wollten.

Nach dem Ausscheiden von Misereor als Geldgeber arbeiteten über 50 Lehrer weiter, die wir nicht bezahlen konnten. Der Unterschied zu den bisher gescheiterten Anläufen mit Lehrkräften, die wir nicht bezahlen sollten, ist der, dass die gut 50 Lehrkräfte OFARINs Unterricht kannten, während die anderen nicht wussten, worauf sie sich für eine ungewisse Entlohnung einlassen sollten. OFARINs Bezahlung der Lehrkräfte ist bescheiden. Dagegen ist das, was sie durch ihren Unterricht lernen, ein bedeutender persönlicher Gewinn. Und auch die Anerkennung, die sie als Lehrerin oder Lehrer in ihrem Umfeld genießen, ist erheblich. Lehrkräfte, die schon bei OFARIN gearbeitet haben, wissen das. Menschen, die noch überlegen, ob sie sich aufs Unterrichten bei uns einlassen sollen, fehlt diese Erfahrung.

Zu Beginn ihrer OFARIN-Karriere sind unsere Lehrkräfte sehr oft Analphabeten. Sie übernehmen eine Klasse, der sie das Alphabet beibringen. Dabei halten sie sich Schritt für Schritt an bewährtes Unterrichtsmaterial. Wenn die Klasse lesen und schreiben kann, kann die Lehrkraft das auch und zwar besser als ihre Schüler. Und das gilt ebenso für jeden Stoff, den die Lehrkraft danach unterrichten wird. Wir hoffen also, dass die vier Lehrerinnen die Hemmschwelle der Nichtbezahlung durch OFARIN überwinden werden und mitmachen.

Leider ist es nicht so, dass OFARINs Programm umsonst zu haben ist, wenn wir das ganze Geschäftsmodell auf unbezahlte Lehrkräfte umstellen. Ein Lehrer arbeitet bei uns nur 90 Minuten am Tag, was seine bescheidene Entlohnung von derzeit umgerechnet 22 € im Monat plausibel macht. Aber ohne das Unterrichtsmaterial, das wir stellen, ohne die Lehrbücher, die OFARIN produziert, ohne die fest angestellten Trainer, die die Lehrkräfte vorbereiten und dann eng betreuen, gäbe es keinen effizienten Unterricht. Wenn man auch noch den Aufwand für unser Büro und für den Einsatz der Fahrzeuge berücksichtigt, muss man für eine Klasse 160 € im Monat ansetzen.

Die vier Klassen, um die es geht, könnten wir aber ohne weiteren Personalaufwand verkraften. Lediglich Bleistifte und Hefte für die Schüler werden anfallen. Hoffen wir das Beste!

 

Unser Corona-Programm läuft.

OFARINs Mitarbeiter erkundigen sich bei allen Lehrern und Schülern. Sind in deren Familien wirtschaftliche Notlagen entstanden, weil Verwandte, die zum Lebensunterhalt beitrugen, gestorben sind, oder weil Behandlungen sehr kostspielig waren, zahlt OFARIN moderate Unterstützungen. Wir berichten darüber auf unserer Homepage.

Unsere Kollegen haben eine Liste aller bisherigen Empfänger einer Unterstützung zugeschickt, in der auch die Namen der Verstorbenen aufgezeichnet sind. Aus Gründen des Datenschutzes können wir sie nicht in dieser Ausführlichkeit in die Homepage setzen. Am 18.10. waren an 17 Familien Hilfen von umgerechnet knapp 60 € oder 120 € ausgezahlt worden, insgesamt 1.350 €. Einen Teil der Betroffenen haben die Kollegen noch nicht erreicht. In den meisten Fällen wird eine einmalige Hilfe nicht ausreichen.

 

Prof. Grötzbach ist tot

1975 unterrichtete ich an der Universität Kabul. Damals besuchte uns Prof. Dr. Erwin Grötzbach. Er war Wirtschaftsgeograf an der Universität Eichstätt. Nach Afghanistan war er gekommen, um Feldforschungen durchzuführen. Er ging durch Dörfer, sah sich dort die Dukane an und zählte sie. So gewann er Einblick in die wirtschaftliche Situation. Gerne saßen wir mit ihm beisammen und unterhielten uns über vieles, was uns in Afghanistan erstaunte. Es waren anregende Tage.

Prof. Grötzbach ging zurück nach Deutschland. Unsere Wege haben sich in den 45 Jahren danach nie mehr gekreuzt. Schließlich hatten wir ganz verschiedene Arbeitsgebiete. Jetzt fand ich eine Anzeige in einer großen Tageszeitung: Herr Prof. Dr. Erwin Grötzbach war am 7.10. im Alter von 87 Jahren gestorben. In der Traueranzeige wurde auf Wunsch von Prof. Grötzbach darum gebeten, statt Blumen zu seiner Beerdigung zu schicken, ein gut funktionierendes (!) Projekt in Afghanistan zu unterstützen, das ihm am Herzen lag, nämlich das von OFARIN. Das eingeklammerte Ausrufungszeichen steht so in der Anzeige. Schade um die 45 Jahre, die wir uns nicht mehr getroffen haben!

Herzliche Grüße Peter Schwittek.