Corona breitet sich in Afghanistan ungehindert aus

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

über Afghanistan kann ich wieder nur indirekt berichten, und leider nichts Gutes.

Abdul Hussain, OFARINs Büro-Manager, erzählt, dass Corona jetzt wirklich in breiter Front über das Land rollt. Ihn, Abdul Hussain, hatte es gerade selber erwischt, nachdem seine Frau, seine Tochter und seine Eltern es schon einige Tage früher getroffen hatte. Auch sein Bruder, der im gleichen Haus mit ihm wohnt, und dessen Familie waren erkrankt.

Einige unserer Kollegen sind betroffen. Der Trainer Naqib Tanai und der Fahrer Nagibullah haben die Krankheit scheinbar schon überstanden. Oft erfährt man nichts, weil viele Afghanen Erkrankungen verheimlichen. Eine Krankheit wird als Strafe Gottes gesehen, so dass Betroffene als Sünder gelten, die es auf Grund von Verfehlungen nicht anders verdient haben. Außerdem weiß man oft nicht, ob es tatsächlich Corona ist, wenn man sich unwohl fühlt und Fieber hat. Derzeit soll sich in Afghanistan auch eine Sommergrippe ausbreiten. Viele Ärzte und Pfleger sind aus den Krankenhäusern geflohen, wo sie kaum geschützt arbeiten müssten. Wer dennoch in einem Krankenhaus gegen Corona behandelt wird und beatmet werden muss, muss den nötigen Sauerstoff selber besorgen und bezahlen.

Abdul Hussain trägt das Schicksal mit Fassung. Er geht davon aus, dass es sich nicht verhindern lässt, dass alle erkranken. Auch auf dem Land ist Corona allgegenwärtig. Die Durchseuchung der Bevölkerung steuert direkt auf die Herdenimmunität zu. Man kann nur hoffen, dass das schnell geht. Allerdings weiß man noch nicht viel über Spätfolgen der Seuche wie z.B. Lungenschäden. Außerdem gibt es die Risikogruppen der Alten und der Menschen mit Vorerkrankungen. Abdul Hussain sorgt sich sehr um seine Eltern. Die meisten unserer Kollegen sind relativ jung. Aber der Koch Aziz und der Putzer Ewas tragen ein erhöhtes Risiko ebenso wie die Trainerin Toobah, die herzkrank ist.

Was ich über die Corona-Situation zusammengetragen habe, zeigt, dass die Krankheit in Afghanistan erheblich schlimmer zuschlägt als bei uns. Ich versuche es lieber nicht, mir vorzustellen, was das in einzelnen Fällen bedeutet. Bei etwas schwererem Verlauf ist Corona grauenhaft. Bei uns werden diejenigen, die nicht zu retten sind, palliativ betreut; in Afghanistan …

Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, was da abläuft, möchte man helfen – aber wie? Wir können von hier aus praktisch nichts ausrichten. Mit Turkish Airlines könnte man jetzt tatsächlich nach Afghanistan fliegen. Aber das wäre kontraproduktiv. Was könnte man tun, wenn man persönlich anwesend wäre? Gar nichts. Man fiele den Freunden und Kollegen nur zur Last.

OFARIN kann wirklich erst eine Hilfe sein, wenn Corona ausgestanden ist. Dann werden die Menschen etwas brauchen, an dem sie sich aufrichten können, eine Möglichkeit des Neuanfangs, eine Hoffnung auf Zukunft. Eine Institution wie OFARIN, die Optimismus verbreitet, wird dann bitter nötig sein.

Im Augenblick kann OFARIN nichts tun. Die Schulen sind noch zwei Monate lang geschlossen. Auch OFARIN kann unter diesen Umständen keinen Unterricht anbieten. Wir arbeiten Schulbücher aus. Aber auch wenn OFARIN ziemlich inaktiv ist, benötigt es Geld. Ohne unsere eingespielten Mitarbeiter ist ein Durchstarten nach Corona nicht möglich. Unsere Lage ist wirklich schlimm. Unsere Einkünfte sind sehr zurückgegangen. Das können wir unseren Spendern nicht verdenken. Viele haben wirtschaftliche Einbrüche zu verkraften. In der Gastronomie geht es für viele Unternehmen um die Existenz. Und Künstler, die nicht auftreten dürfen, haben Angst vor der nächsten Woche. Immerhin hat der Staat diese bedrohten Wirtschaftszweige und Einzelkämpfer nicht ganz vergessen. Aber für Hilfsorganisationen, die im Ausland arbeiten und die ganz auf Zuwendungen von Privatspendern angewiesen sind, hat der Staat kein Netz.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer zeigt sich immerhin. ARTE denkt daran, im Herbst den Film noch einmal auszustrahlen, der über die Arbeit von OFARIN 2017 gedreht wurde, vielleicht um eine kurze Aktualisierung ergänzt. Wir hoffen, dass dieser Film tatsächlich gezeigt wird. Wir wollen ihn dazu nutzen, unseren Bekanntheitsgrad und unseren Unterstützerkreis zu erweitern.

Doch der September ist noch weit. Bis dahin muss das, was wir in Afghanistan aufgebaut haben, weiterleben. Daher bitten wir alle, die einigermaßen durch die Krise kommen, darum, uns unter die Arme zu greifen.

Herzliche Grüße Peter Schwittek.