2020 Urlaub in Griechenland? – Eine Einschätzung von Wolf Lustig

Fata Morgana oder Paradies? -- Foto: Wolf Lustig (C)

Soll man im Sommer/Herbst 2020 seinen Urlaub in Griechenland verbringen? NAI oder OXI? Spätestens ab 1. Juli wird es zu Land, zu See und zu Luft wieder möglich sein ohne Bedingungen einzureisen. Das Gesundheitsrisiko dürfte geringer sein als in Deutschland – aber ist das Urlaub? Im Augenblick noch ein Paradies, und dann eine Fata Morgana? Hier ein paar Beobachtungen und Überlegungen zum Thema:

Für alle, die dieses Jahr nach Kreta oder Griechenland kommen wollten, aber natürlich auch für die Kreter, von denen sehr viele direkt oder indirekt vom Tourismus leben, ist die Lage momentan sehr betrüblich, vor allem wegen der großen Unsicherheit in vielen Fragen und an allen Fronten.

Ich bin seit 23. Februar in Sfakia und habe die die kretische Corona-Krise von Anfang an miterlebt. Wie ich ja schon zuvor einmal erzählt habe, wurden die frühzeitig erlassenen und bezogen auf Gesamt-Griechenland zu Recht strengen Restriktionen hier etwas lockerer ausgelegt. Das war dadurch zu rechtfertigen, da Kreta wie auch viele andere griechische Inseln praktisch COVID-freie Zone war und ist. Bis heute gibt es 16 nachgewiesene Fälle und einen Todesfall (ein deutscher Gastprofessor in Iraklio). Vom dem Tag an, als Anfang Mai ein stufenweiser Lockerungsplan verkündet wurde, war zumindest in Sfakia wieder alles „normal“: die καφενεία [Cafés – die Red.] – sofern nicht in unmittelbarer Nachbarschaft der Polizeistation in Chora Sfakion – waren geöffnet (mit im Innenraum hochgestellten Stühlen) und zumindest in den etwas abgelegeneren Tavernen konnte man in einer siebenköpfigen Gruppe problemlos und genussvoll tafeln. Diese etwas trügerische Normalität ist dabei, sich weiter zu verfestigen. Inzwischen können ja Griechen vom Festland schon wieder nach Kreta kommen und anders als in den letzten Monaten sind nachmittags kleine Gruppen am (nicht „organisierten“) Strand beim Baden, und die Tavernenwirte hoffen spätestens ab dem kommenden Wochenende auf nationale Kundschaft. Ich glaube, dass der „Mittelweg“, einfach nur den innergriechischen Tourismus zuzulassen, wahrscheinlich zumindest für Kreta eine gute Lösung gewesen wäre, denn erstens ist dieses Land insgesamt relativ „clean“ und zweitens ist in Regionen wie Sfakia, wo es keinen Massentourismus gibt und man noch andere Standbeine hat, kaum jemand wegen des (Teil-)Ausfalls einer Saison wirklich in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht.

Anders verhält es sich in den von der Tourismus-Monokultur geprägten Regionen, z.B. der kretischen Nordküste. Hier sind viele touristische Einrichtungen ja nicht mal in griechischer Hand und wer am meisten investiert hat, wird geldmäßig auch den größten Verlust davontragen, also vermutlich nicht die Kreter. Wir wissen ja auch, dass ein Großteil der im Tourismus und davon abhängigen Wirtschaftszweigen Beschäftigten (vor allem hinter den Kulissen: Kochen, Putzen, Bauen, niedrige Arbeiten in der Oliven- und Viehwirtschaft) gar keine Griechen sind, sondern aus der noch schlechter gestellten balkanischen Nachbarschaft oder aus Pakistan, Syrien und anderen Fluchtländern kommen. Vor allem sie würde also ein Wegbrechen des Auslandstourismus treffen. Es sei dahingestellt, ob Titus 1,12 zutrifft, aber Arbeit für Kreter würde es auf jeden Fall weiterhin geben und eine Krise des Tourismus erscheint mir als Chance, dass man sich hierzulande in kreativer Weise auf die vielen anderen Ressourcen besinnt, die dieses Land bietet, und die nicht – wie Massentourismus und EU-subventionsgesteuerte Massen-Schaf- und Ziegenzucht – es zugleich zugrunde richten.

Bild: Wolf Lustig (C)

Positive Begleiterscheinungen der Pandemie gibt es zweifelsohne. Für 2020 waren allein für den Hafen von Souda/ Chania 143 Kreuzfahrtschiffe angekündigt. Das hätte bedeutet, dass an 143 Tagen jeweils 500-1000 (schätze ich mal so) an Kreta mittelmäßig interessierte Erholungsuchende die Stadt heuschreckenartig für ein paar Stunden überschwemmen, bestenfalls ein Eis schlecken und ein in China produziertes Andenken erwerben (denn an Bord ist ja sonst alles inclusive), ihren Abfall und den CO2 Footprint hinterlassen und das war’s dann. Dass die Liegegebühren den durch diese touristische Aktivität verursachten Ressourcenverbrauch auch nur halbwegs wettmachen und irgendein Steuerzahler davon profitiert, ist mehr als zweifelhaft.

Was sage ich nun jemandem, der fragt, ob er dieses Jahr nach Kreta reisen soll, wenn das spätestens ab 1. Juli mit Direktflügen – auch auf die Inseln – voraussichtlich wieder möglich sein wird? Die griechische Regierung hat sich bei der Abwägung zwischen (1) Vermeidung der kompletten wirtschaftlichen Katastrophe und (2) größtmöglichem Schutz der Volksgesundheit für Nummer 1 entschieden. Das bedeutet vor allem, dass alle Griechen (+ eventuelle Gastarbeiter), die im touristischen Gewerbe im Kontakt mit ausländischen Gästen, deren virologischer Status ungeklärt ist, ihr Geld verdienen wollen, sich einem hohen Risiko aussetzen, während Reisende aus Mitteleuropa in ein Land kommen, in dem die Ansteckungsgefahr wesentlich niedriger ist als in der Heimat. Für den Umgang mit Urlaubern gilt das hier beschriebene „Protokoll“: https://www.ekathimerini.com/253155/gallery/ekathimerini/community/know-the-rules-the-a-z-for-tourism-in-greece-in-the-covid-19-era
Dadurch könnte vor allem das hiesige Personal etwas geschützt werden, in zweiter Linie auch die Touristen untereinander. Ganz klar ist aber, dass – vor allem wenn diese Auflagen respektiert werden – Griechenland in dieser Saison eines der gesündesten Reiseländer sein wird. Das größere Risiko ist ganz klar primär auf Seiten der Griechen und nicht der ausländischen Touristen.

Auf einem anderen Blatt steht, ob man sich einen „Urlaub“ unter diesen Bedingungen antun will. Alles, was das Protokoll vorschreibt, macht aus Griechenland genau das Gegenteil, weshalb es für uns seit fast 50 Jahren der ideale Ort nicht nur zum Urlauben sondern auch zum richtig und wirklich Leben ist. Ich für meinen Teil hätte nicht das geringste Interesse unter diesen Bedingungen 14 Tage in einem „normalen“ Hotel mit einem organisierten Strand zu verbringen – ein Horror und das Gegenteil von meinem Griechenland-Bild. Dann lieber Mένουμε σπίτι στη ΓΕΡΜΑΝΙΑ – [zu Hause bleiben in Deutschland]. Ich gehe allerdings davon aus, dass die Umsetzung dieser Vorgaben nicht nur in der Sfakia weiterhin durchaus auf griechische bzw. hier auf kretische Art erfolgen wird.

Petra war heute nach 10 Wochen zum ersten Mal in Chania und konnte sich vergewissern, dass das Leben da vollkommen normal abläuft, Läden, καφενεία, Tavernen sind offen, nur eben ohne Touristen und mit mehr oder weniger maskiertem Personal. Im Augenblick gibt es ja auch auf Kreta praktisch noch kein Infektionsrisiko. Mit der Öffnung für den Tourismus spätestens ab Juli wird sich das ändern und es ist vollkommen offen, wie sich dann das Verhalten der Menschen und auch die Ansteckungsrate entwickeln. Der Urlauber, der sich an die Regeln hält, wird aber dennoch mindestens so sicher sein wie in seinem Heimatland, nur aber vielleicht kein richtiges Urlaubs-Feeling entwickeln.

Foto: Wolf Lustig (C)

Wer sich jetzt nicht unmittelbar entscheiden muss, ob er/sie die Reise antreten wird, sollte die Entscheidung auf Anfang/ Mitte Juli vertagen. Dann weiß man nämlich, wie sich die erste Touristenwelle hier niederschlägt, sowohl hinsichtlich der Infektionsrate als auch im Hinblick auf das handling der Vorschriften.

So lange grüße ich aus dem fatamorganahaften Paradies am Libyschen Pelagos…